So trotzt das Wort dem Terror in Syrien

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Die syrische Autorin Samar Yazbek ist mit ihrem Buch "Schrei nach Freiheit" für den Coburger Rückert-Preis nominiert. Foto: Manaf Azzam
Die syrische Autorin Samar Yazbek ist mit ihrem Buch "Schrei nach Freiheit" für den Coburger Rückert-Preis nominiert. Foto: Manaf Azzam
Dieses Denkmal im Coburger Stadtteil Neueses erinnert an den Dichter und Orientalisten Friedrich Rückert. Foto: Archiv/Jochen Berger
Dieses Denkmal im Coburger Stadtteil Neueses erinnert an den Dichter und Orientalisten Friedrich Rückert. Foto: Archiv/Jochen Berger
 
Dieses Relief in der Coburger Rückert-Straße erinnert an den Dichter Friedrich Rückert.Foto: Archiv/Jochen Berger
Dieses Relief in der Coburger Rückert-Straße erinnert an den Dichter Friedrich Rückert.Foto: Archiv/Jochen Berger
 

Durch den Coburger Rückert-Preis ist Syrien plötzlich ganz nahe. Vier syrische Autoren sind in diesem Jahr für die Auszeichnung nominiert. Im Blickpunkt heute: Samar Yazbek und ihr Buch "Schrei nach Freiheit".

Samar Yazbek hat Angst - Angst vor dem Terror des Assad-Regimes, Angst um ihre Tochter. Trotzdem geht sie auf die Straße, als im Frühjahr 2011 der Widerstand gegen den Diktator und seinen Clan beginnt. Sie will nicht protestieren, sondern nur beobachten, Augenzeuge sein.


"Schrei nach Freiheit"


Sie schreibt auf, was sie sieht oder von anderen Augenzeugen sich berichten lässt. Ihr Tagebuch ist ein Protokoll des Schreckens, ein Dokument des vieltausendfachen Grauens. Es berichtet von Folter und Mord, Willkür und Verhaftung, Einschüchterung und Demütigung. "Schrei nach Freiheit" lautet der Titel der deutschen Übersetzung. Detailgenau führt sie Buch, beschreibt, wie die Gewalt immer weiter eskaliert. Als bekannte Autorin und Fernsehmoderatorin genießt sie anfangs noch Schutz, wird "nur" gewarnt und eingeschüchtert.



Willkür der Geheimndienste


Aber sie hört trotzdem nicht auf, versucht immer wieder, sich selbst ein Bild zu machen, von dem, was auf den Straßen passiert. Sie erlebt die Willkür der Geheimdienste (15 Geheimdienste treiben in Syrien ihr Unwesen). Sie gerät zwischen die Fronten, wird wegen ihrer kritischen Haltung auch von der eigenen Familie unter Druck gesetzt - und macht trotzdem weiter.

"Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution" lautet der Untertitel. "Dieses Tagebuch ist keine unmittelbare Dokumentation", schreibt die Autorin: "Doch es sind wahre, reale Worte, die nicht der Fantasie entspringen."

Die Wirklichkeit, die sie beschreibt, stellt vieles in den Schatten, was in den Medien aus Syrien berichtet wird. "Was wir in unseren Romanen schreiben, ist weniger grausam, als das, was auf dem Boden der Wirklichkeit geschieht", notiert Yazbek.


Verfolgt, geknechtet, drangsaliert


Fassungslos beschreibt sie, mit welchen perfiden Mitteln das Terrorregime Assads das eigene Volk knechtet, verfolgt, drangsaliert, foltert und ermordet. Sie schildert, wie die unterschiedlichen religiösen Gruppierungen gegeneinander aufgehetzt werden, wie daraus ein scheinbar auswegloser Kreislauf der Gewalt wird.
Wer dieses Tagebuch liest, fragt sich irgendwann zwangsläufig, wie Menschen inmitten dieses Grauens überleben können. Yazbek beschreibt, wie der unaufhörliche Terror, wie die ständige Angst die Menschen verändert. "Ich habe keine Angst mehr", notiert sie und stellt doch zugleich klar: "Aber nicht, weil ich mutig wäre. Ich bin außerordentlich zerbrechlich. Es ist einfach die Gewohnheit."

Das Gewissen als Waffe

Wie aber lässt sich das Gefühl der eigenen Ohnmacht bekämpfen, um nicht zu verzweifeln? Im Grunde einzig und allein mit dieser Erkenntnis: "Ich habe nur mein Gewissen als Waffe." Samar Yazbek beschreibt ihre Begegnung mit Terror und Tod als eine Reise in ein Land des Schreckens: "Der Tod ist ein Spiel mit unklaren Regeln. Dieses Tagebuch macht aus dem Tod ein Gemälde zum Zusammensetzen."


Suche nach Wahrheit


Damit liefert sie tatsächlich eine Beschreibung ihres Tagebuchs, das bisweilen irritierend einfach nur berichtet, zugleich aber mehr ist als lediglich ein Tagebuch des Grauens. Vielmehr bewahrt sie sich inmitten des Schreckens die Kraft der Poesie, die Macht des dichterischen Wortes, das nicht Propaganda sein, sondern die Wahrheit suchen will.

Ist das schon Hoffnung? Oder ist das doch nur die Weigerung, sich der Verzweiflung zu ergeben? Samar Yazbeks "Schrei nach Freiheit" ist ein erschütterndes Dokument - ein Dokument der Kraft, die der menschliche Geist auch inmitten des Schreckens bewahren kann.



Buch-Tipp zum Coburger Rückert-Preis


Der Coburger Rückert-Preis wird im Jahr 2013 bereits zum dritten Mal verliehen. Er steht in der Tradition des Wahl-Coburgers Friedrich Rückert (1788 bis 1866). Der Preisträger wird zu Rückerts 225. Geburtstag am 16. Mai 2013 verkündet. Verliehen wird der Preis am 21. Juni auf der Veste.

Shortlist In der engeren Auswahl für den Coburger Rückert-Preis stehen vier Autoren auf der sogenannten Shortlist: Samar Yazbek, Rosa Yassin Hassan, Nihad Siris und Fawwaz Haddad.

Lebenslauf Samar Yazbek (geboren 1970 in Dschabla / Syrien), Studium der Literatur, arbeitete bis zu ihrer Flucht als Journalistin, Herausgeberin einer Online-Frauenzeitschrift und Menschenrechtsaktivistin. Seit 2012 lebt sie in Paris.

Samar Yazkeb "Schrei nach Freiheit" - Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution; 217 Seiten, Vorwort von Rafik Schami, 17,90 Euro, Verlag Nagel & Kimche, 2012, aus dem Arabischen von Larissa Bender.