So entsteht eine Kunst-Welt für Dorian Gray in Coburg
Autor: Jochen Berger
Coburg, Freitag, 24. Mai 2013
Wie entsteht ein Bühnenbild? Michael Heinrich gibt Einblick in den komplexen Schaffensprozess.
Für die Uraufführung von Roland Fisters Musical-Oper "Dorian Gray" am Landestheater hat Michael Heinrich, Vizepräsident der Hochschule Coburg, die Ausstattung entworfen.
Wenn man sich ein wenig mit Ihrer Biografie beschäftigt, begegnet man dem Designer, dem Bühnen- und Kostümbildner, dem Hochschulprofessor und dem Hochschul-Vizepräsidenten. In welcher Rolle fühlen Sie sich denn am wohlsten?
Michael Heinrich: Visuell zu gestalten, erfüllt mich sehr. Noch wohler fühle ich mich, wenn ich mit den Studierenden arbeite. Das macht mir am meisten Freude. Die nächstwichtige Rolle ist genau das Gegenteil, ganz zurückgezogen zu arbeiten, Texte zu schreiben, Gedanken miteinander zu verbinden.
Konzeptionelles Arbeiten war für mich schon in der Ausbildung am Mozarteum wichtig.
Gibt es ein "Rezept", nach dem Sie einen Bühnenbild- oder Ausstattungsentwurf erarbeiten?
Das variiert sehr stark. Ich habe in der Arbeit mit Studierenden gemerkt - gerade bei Bühnenbildprojekten -, dass es auch sinnvoll ist, die verschiedenen Ansätze gleichermaßen zu erproben, um eine Wahl zu haben. Jedes Stück ist anders und jeder Zugang zu einem Stück ist anders. Es gibt Stücke, die einen gleich ergreifen: vielleicht die Hauptfigur, vielleicht der Erzählduktus, vielleicht die Musik, oder auch alles zusammen. Dann gibt es Situationen, wo sich innere Bilder ergeben, sich geradezu aufdrängen, von denen man nicht mehr loskommt, die dann ein wichtiger Hinweis sind, um diesen Stoff mit authentischem eigenen Leben zu füllen.
Wie weit ist der Weg bis zu den fertigen Bühnenbildentwürfen?
Früher brauchte ich noch viele Skizzenphasen als Findungsprozess. Heute ist es so, dass das alles im Kopf stattfinde. Ich zeichne im Grunde nur noch ab, was ich im Kopf schon durchdacht habe. Was für mich der innere Wegweiser schlechthin ist, sind innere Bewegungen von Hauptfiguren, psychische Entwicklungen, etwa die Frage: Was passiert denn mit den Figuren? Erweitern die sich? Befreien die sich? Oder werden sie immer mehr eingeengt?
Konkrete Bilder entstehen also immer auch im Dialog mit der Metaebene?
Unbedingt. Das Gedankliche ist für mich das Allerwichtigste. Wenn das Bühnenbild dann entsteht, verdichten sich all die Bilder, die im Hintergrund herumfliegen. Das ist meine gestalterische Erfahrung: Wenn Sie wissen, was Sie konzeptionell wollen, wenn es sauber durchdacht ist - und zwar so, dass es nicht intellektualisiert ist, sondern dass Sie ein Gefühl der Stimmigkeit haben - dann ergibt sich die künstlerische Sprache von ganz alleine. Sie blüht sozusagen auf in müheloser Leichtigkeit. Da müssen Sie nicht mehr nach Stilen oder nach Formen suchen. Und Sie müssen nicht mehr dekorieren, im Sinne von "aufhübschen". Sie wissen genau, was dann nötig ist, Sie wissen aber auch, was unnötig ist. Alles, was unnötig ist, fliegt raus. Keine Dekoration auf der Bühne.
Was war der Ausgangspunkt für Ihre "Dorian Gray"-Ausstattung?
Bei "Dorian Gray" geht es um den Kontrast zwischen Schönheit und Glätte, diese Sehnsucht nach Perfektion einerseits, die ich sehr gut nachvollziehen kann - und andererseits um das Wissen, dass diese Schönheit nur die Oberfläche ist, dass das wahre Leben woanders ist, mehr noch, dass es nicht einmal schön sein muss, um lebendig zu sein. In "Dorian Gray" ist das authentische Leben als Antithese zur Schönheit konzipiert und wird auch als bedrohlich erlebt. Diese Fantasie taucht im 19. Jahrhundert immer wieder auf: Die Angst vor der anderen Seite, vor dem Dionysischen.
Wie lässt sich das Bühnenbild für "Dorian Gray" beschreiben?
Es ist ein Black-and-White-Konzept, das an eine zu groß geratene Kinderbuchillustration erinnert. Die Farbe, hier eine Metapher für einen echten, emotionalen Weltbezug, ist ein geebnet. Diese sehr stereotype Welt ist absurderweise die Realität - sie ist nicht das Echte, sondern das Künstliche in dem Stück. Dorian Grays Inneres, das sich im eigenen Bildnis spiegelt, das ist im Bühnenbild das Reale. Es ist groß, dieses Porträt, und es ist farbig. Das Verhältnis von Realität und innerer Wirklichkeit ist also umgedreht. Im Fall von "Dorian Gray" geht es um den Kontrast innen/außen und um die Frage, wie wichtig die Außenwelt eigentlich ist - zu mindest für einen Narzissten wie Dorian Gray. Begegnet er Menschen wirklich oder sind für ihn Menschen praktisch nur Erfüllungsgehilfen seiner eigenen inneren Realität?
Wann hat Ihre Arbeit an "Dorian Gray" begonnen?
Eigentlich sehr früh, weil es eine Uraufführung ist und sich damit ein großer Anspruch verbindet. Begonnen habe ich schon im Sommer 2012. Die Entwürfe waren dann im September fertig. Ich habe zuerst das Buch von Oscar Wilde gelesen, weil die Reduktion des Librettos im Vergleich zum Buch schon sehr stark ist und entsprechend sehr viel Implizites im Libretto steht. Ende August, Anfang September hatte ich zwei sehr intensive Wochen. Wenn man sich erstmal rein stürzt, dann muss das durchlaufen. Dann lässt mich das nicht mehr los, dann schlafe ich kaum mehr, bis die ganze Konzeption fertig ist. Dieser Prozess ist wie eine ruhelose Mühle, die einen hinein saugt. Alles andere, die konkrete Umsetzung - egal, wie kompliziert sie ist - lässt sich dann kalkulieren und einteilen. Wenn ich damit anfange, weiß die Familie dann, ich bin weg vom Fenster, ich denke an nichts anderes. Man geht auch nicht sofort an die Arbeit, wenn man Zeit hat. Erst baut sich gedanklich ein Druck auf, der dann kulminiert. Das ist im Grunde wie eine Geburt.
Gibt es Gemeinsamkeiten in Ihren Arbeiten für die Bühne?
Ich liebe stilistische Konsequenz und raffinierte Tiefenwirkungen. Meine Grundrisse sind immer extrem durchkomponiert, auch wenn manche Leute dann meinen: Das sieht man von vorne ja gar nicht, wie stringent der Grundriss eigentlich ist. Ich bin aber schon der Ansicht: So etwas teilt sich zumindest indirekt mit - auch in der Architektur: Als Ebenmaß der einzelnen Teile und ihr Zusammenklang. Keine Dekoration, sondern Komposition.
Könnte man diese Formel als Ihr künstlerisches Credo bezeichnen?
Ja, das könnte man so nennen.
Entstehen Ihre Arbeiten auf dem Papier oder am Computer?
Ich bin ein Bleistift- und Papier-Freak. Auch in der Hochschule mache ich das so. Ich versuche, den Studenten erst mal beizubringen, mit den einfachsten Mitteln virtuos umzugehen, weil ich dann sage: Alles, was Sie da lernen über Strichführung, über Kontraste, über Komposition, das können Sie in alle Techniken beliebig transferieren. Das ist eine Methodenkompetenz, also viel mehr ist als nur eine Einzeltechnik. Am Anfang stehen immer Bleistift und Papier - als Universalmedium. Die Entwurfskizzen können dann beliebig am Computer weiterbearbeitet werden.
Sie sind in München geboren, haben in Salzburg am Mozarteum studiert und leben seit 2006 im kleinen Coburg. Wie fühlen Sie sich als Wahl-Coburger?
Die Lebensqualität ist toll. Dass es so viel Kultur aus der Herzogszeit gibt, dass eine so kleine Stadt ein so großes Angebot hat an schönen Gebäuden, an im Grunde künstlerisch gestaltetem Landschaftsumraum, das ist toll und ganz außergewöhnlich.
Ein Künstlerleben zwischen Bühne und Hochschule
Premieren-Tipp "Dorian Gray" - "Musical-Oper", Text und Musik von Roland Fister, Samstag, 8. Juni, 19.30 Uhr Landestheater Coburg; Inszenierung: Bodo Busse; Bühnenbild und Kostüme: Michael Heinrich; Musikalische Leitung: Roland Fister
Michael Heinrich, 1966 in München geboren, studierte Bühnen- und Kostümgestaltung am Mozarteum in Salzburg (1986 bis 1992). Nach erfolgreichem Abschluss (Diplom, Magister Artium) war er zunächst als Assistent von Peer Boysen sowie Florian Pabst tätig (Staatstheater Wiesbaden, Nationaltheater Mannheim, Wiener Festwochen), begann aber auch bald eigenständig an verschiedenen Werken zu arbeiten. Im Auftrag von Regisseur Pet Halmen übernahm er elf Gesamtplanungen von Bühnenbildern (darunter Landestheater Salzburg, Aalto-Theater Essen, Oper Leipzig, Hamburgische Staatsoper, Meininger Theater).
Ausstattungen Von Michael Heinrich stammen 26 gesamtverantwortliche Bühnen- und Kostümausstattungen zu Werken von Shakespeare, Monteverdi, Händel, Marivaux, Mozart, Goethe, Lortzing, Offenbach, Wagner, Puccini, Henze, Brecht, Tabori, Mann, Thomas, Wallace, Vilar, Pohl, Strauß. Dabei arbeitete er beispielsweise mit Regisseuren wie Hans Hollmann, Marcus Everding, Kay Metzger, Karl-Georg Kayser und vielen anderen zusammen. Für das Landestheater Coburg hat er bereits eine Reihe von Ausstattungen entworfen.
Als Designer war er in der Zeit von 1989 bis 1990 bei Oscar-Preisträger Rolf Zehetbauer in den Bereichen Film- und Innenarchitektur tätig (Bavaria Film). Zudem arbeitete Michael Heinrich ab 2000 als freiberuflicher Designer für Grafik, Innen-/Architektur, Messes tanddesign und anderes.
Hochschule Seit dem Jahr 2006 ist Michael Heinrich Professor an der Fakultät Design der Hochschule Coburg, Von 2007 bis 2009 war er Studiengangsleiter Innenarchitektur (Fakultät Design, Hochschule Coburg), seit Oktober 2009 ist er Vizepräsident der Hochschule. Zuständigkeit in der Hochschulleitung für Referate Kommunikation, Gesunde Hochschule; Wissenschafts- und Kulturzentrum; stellvertretende Projektleitung Coburger Weg.