Was passiert, wenn ein erfolgreicher Geschäftsmann das schicke Büro mit der Einsamkeit einer kargen Blockhütte tauscht? Jaan Tättes "Elchtest" bietet im Coburger Theater in der Reithalle eine ironische Antwort auf diese Frage.
Dieser Blick in den Spiegel: erschreckend. Wer schaut mich da an? Bin ich das wirklich? Der sich das fragt, hat eigentlich allen Grund, glücklich zu sein. Als erfolgreicher Handy-Händler ist er nach zehn Jahren Plackerei gerade auf dem Gipfel angelangt. Und fühlt: Leere statt Erfüllung und Genugtuung.
Jäh ist die Ernüchterung, schnell gefasst der Entschluss: Ich steig' aus - zumindest mal für ein Jahr. Davon erzählt Jaan Tättes Schauspiel "Elchtest", das seine Coburger Erstaufführung in der Reithalle erlebte.
Raffinierte Brechungen Eine typische Midlife-Crisis also? Schon der Name der Hauptfigur legt diese Schlussfolgerung nahe. Denn sie trägt eigentlich keinen Namen, sondern eine Beschreibung: Ich, Anfang 40.
In Tobias Materna Inszenierung spielt Sebastian Pass diesen Aussteiger, der von einem Tag auf den anderen das schicke Büro samt prächtiger Aussicht mit einer kargen Blockhütte in der Einöde Estlands vertauscht. Das klingt scheinbar nach einem Festival der Klischees, doch Tättes Schauspiel unterläuft diese Klischees mit lakonischer Ironie und raffinierten dramaturgischen Brechungen.
Verliebt in die eigene Botschaft Und Tobias Maternas Regie verwandelt den Text mit sicherem Stilgefühl in ein skurriles Kammerspiel zwischen Slapstick und poetisch leisen Momenten. Maternas Regie setzt bewusst nicht auf flottes Tempo, sondern gibt den Darstellern immer wieder auch die Gelegenheit, stille Momente mit sprechenden Blicken auszuspielen. Für Sebastian Pass wird die Hauptrolle auf diese Weise zur Paraderolle.
Denn Tobias Maternas präzise Regie führt diesen Aussteiger mit feinem Einfühlungsvermögen und sicherem Gespür für Kontraste und klug dosierte Akzente.
Sebastian Pass mit bedingungslosem Einsatz Wie dieser Aussteiger in der Einöde zunächst gegen seinen Willen wie ein Guru behandelt wird, sich schließlich in die Rolle des Glaubensverkünders verliebt und immer mehr Gefallen an seiner eigenen Botschaft findet - das alles spielt Sebastian Pass mit bedingungslosem Einsatz, aber ohne allzu karikierende Übertreibungen.
Ist dieser Aussteiger, der scheinbar bedenkenlos alles hinter sich lässt und vermeintlich völlig naiv auf sein gesamtes Vermögen verzichtet, nun eine erleuchtete Seele, befreit von der schnöden Macht des Mammons? Oder ist dieser Mann Anfang 40 nicht vielleicht doch einfach nur verrückt geworden? Sebastian Pass
lässt diese Frage in seiner Darstellung ganz bewusst in der Schwebe.
Ausdauernder Beifall Ausstatter Till Kuhnert hat für diese Aussteiger-Geschichte den adäquaten Rahmen geschaffen - einen abstrakten Raum, der die idyllisch verklärte Natur in ironisch stilisierter Form in Andeutungen herbei zitiert. Die Kostüme Kuhnerts helfen mit klug gesetzten Akzenten, die jeweiligen Figuren prägnant zu charakterisieren.
Das ist auch deshalb wichtig, weil Anna Staab und Nils Liebscher als Darsteller-Duo im fast pausenlosen Wechselspiel insgesamt 13 Rollen zu bewältigen haben. Staab und Liebscher machen daraus ein Kaleidoskop der treffsicher gezeichneten Typen. Ausdauernder Premierenbeifall.
Das Stück und sein Autor Termine 4., 18., 19., 20. Dezember, 4., 5., 6.
Januar, 20 Uhr, Reithalle - Theaterkasse: 0 95 61/89 89 89.
Jaan Tätte wurde 1964 in Viljandi geboren. Er studierte zunächst Biologie, bevor er sich für eine Theater-Ausbildung entschied, die er 1990 am Staatlichen Konservatorium von Tallinn abschloss. Als Schauspieler wurde anschließend das Stadttheater der estnischen Hauptstadt seine künstlerische Heimat. Auf deutschen Bühnen wurde Tätte erstmals bekannt mit dem Schauspiel "Bungee Jumping".