Druckartikel: Sie beherrschen die Kunst der schönen Illusion

Sie beherrschen die Kunst der schönen Illusion


Autor: Jochen Berger

Coburg, Samstag, 13. April 2013

Was passiert in den Werkstätten des Landestheaters, damit möglichst schöne Bühnenbilder mit möglichst geringen Kosten entstehen? Für den "Barbier von Bagdad" geht es dabei nicht ohne orientalisches Flair ab.
Eva Meininger und Malsaalvorstand Rainer Schirmer mit einer Matrize, mit der die Muster für das Bodentuch für den "Barbier von Bagdad" hergestellt werden. Die komische Oper von Peter Cornelius feiert am 27. April Premiere am Landestheater. Fotos: Jochen Berger


Bagdad muss in neun Arbeitstagen fertig sein. Die Materialien: Farbe, Leinwand, Sperrholz und Holzlatten. Neun Arbeitstage bleiben den Mitarbeitern in den Werkstätten des Landestheaters, um aus den Entwürfen der Bühnenbildner Theaterwirklichkeit werden zu lassen - auch im Fall von Peter Cornelius und seiner komischen Oper "Der Barbier von Bagdad". Neun Arbeitstage, um Kulissen zu bauen und Prospekte zu malen. Reicht das denn? "Es muss reichen", sagt Werkstattleiter Thomas Müller: "Die Frage, ob wir's schaffen, stellt sich gar nicht: Wir müssen."


"Bei uns darf eigentlich keiner krank werden"

Zeit für gravierende Pannen bleibt in diesem engen Produktionskorsett einfach nicht.

"Bei uns ist alles auf Kante genäht", sagt Thomas Müller: "Bei uns darf eigentlich keiner krank werden." Seit 19 Jahren ist der gelernte Schreinermeister in den Werkstätten in Cortendorf tätig - und seit Beginn dieser Saison Werkstattleiter. Damit freilich fällt Müller im Produktionsprozess als Schreiner eigentlich aus. Denn als Werkstattleiter ist er reichlich eingedeckt mit organisatorischen Aufgaben.


Testlauf im Montage-Saal

"Hier läuft am Ende alles zusammen", sagt Müller im Montageraum: "Hier wird alles eins zu eins aufgebaut, damit wir wissen: Passt das wirklich? Und wenn etwas nicht passt: Hier können wir noch reagieren. Auf der Bühne geht das nicht mehr." Die Aufbauarbeit freilich übernehmen nicht die Mitarbeiter der Werkstätten, sondern die Bühnenarbeiter. Denn die müssen schließlich auch im Theater den Aufbau und die Umbauten bewerkstelligen. Der Montagesaal - nackte, unverputzte Wände, Betonstreben als Gerüst, Licht, das von oben hereinfällt - ist deshalb von den Maßen her im Grunde eine Kopie der Bühne im Landestheater bis hin zur Bühnenschräge und der Markierung für die Drehbühne.


"Wie kriegen wir das hin?"

Ohne gründliche Planung, ohne effiziente Organisation wären die knappen Zeitpläne gar nicht einzuhalten. Vor allem aber: Die Arbeit mit standardisierten Maßen spart Zeit und Geld - weil einzelne Teile, nachdem eine Inszenierung abgespielt ist, durchaus in neuen Produktionen wiederverwendet werden können.

Im Kulissenlager - einem Anbau, der erst vor wenigen Jahren fertiggestellt wurde - werden deshalb auch Einzelteile früherer Produktionen aufgehoben: fein säuberlich nach Größen sortiert. Die Formel ist eigentlich ganz einfach: so viele Altteile wie möglich verwenden. "Fast jede Produktion ist eine neue Herausforderung", erzählt Malsaalvorstand Rainer Schirmer, der seit 1998 in den Werkstätten des Landestheaters arbeitet: "Immer wieder müssen wir überlegen: Wie kriegen wir das am schnellsten und am kostengünstigsten hin?"


Klassische Bühnenmalerei

Das Bühnenbild für den "Barbier von Bagdad" ist aus Schirmers Sicht eine mittelschwere Herausforderung. Klassische Kulissenmalerei für den Prospekt, der die Szene nach hinten begrenzen wird, dazu überdimensional vergrößerte orientalische Postkartenmotive.


Nostalgie-Effekt

Früher wäre das ebenfalls eine klassische Bühnenmalereiarbeit gewesen. Heute liefern großformatige digitale Schwarz-Weiß-Drucke die Grundlage. Im Malersaal werden diese Digitaldrucke noch dezent koloriert - fertig ist der Nostalgie-Effekt.

"Auf die Fernwirkung kommt es an", beschreibt Eva Meininger die Kunst der Theatermaler. Manches, was aus der Nähe betrachtet toll aussieht, wirkt aus der Sicht der Zuschauer vielleicht gar nicht so toll. Immer wieder gehen die Theatermaler deshalb über eine schmale Wendeltreppe hinauf auf die Galerie. Von dort haben sie einen guten Blick auf das entstehende Bühnenbild. Entwürfe umsetzen, nicht einfach nur vergrößert nachmalen - darum geht es bei der Theatermalerei. Dennoch ist Genauigkeit ganz wichtig.

Ein feines Gitternetz aus Linien liegt über der Skizze von Bühnenbildner Tobias Hoheisel, das eine orientalische Stadtsilhouette in abendlichen Farben zeigt. Und ein ebensolches Gitternetz, proportional genau passend, wird am Anfang auch über die am Boden gespannte Leinwand gezogen - mit Schrauben an den Seiten fixiert. So lassen sich die Konturen der Skizze maßstabsgetreu übertragen. Mit einem Pinsel mit meterlangem Stiel gibt Sabrina Nettelbeck den Konturen dann Farbe und Schattierungen.


Schon wartet "Panama"

"Rund 600 Premieren habe ich bestimmt schon hinter mir", schätzt Werkstattleiter Thomas Müller und meint damit tatsächlich nur die Bühnenbilder. Denn die fertigen Produktionen erlebt er eigentlich nie auf der Bühne. "Manchmal sehe ich vielleicht die Hauptprobe - wenn ich Zeit dazu habe." Meist aber hat er sie nicht. Ist schon bei der nächsten Produktion.

Und während im großen Malersaal noch am Prospekt für den "Barbier von Bagdad" gemalt wird, wartet bereits die nächste Produktion: das Kinderstück "Oh wie schön ist Panama": Premiere am 28. April in der Reithalle. Im Besprechungszimmer im ersten Stock steht das Bühnenbildmodell dazu.
Und drunten im Malersaal flicht eine Praktikantin schon an einer großen Löwenmähne, die bei dieser Inszenierung eine wichtige Rolle spielen soll.


So bereiten die Werkstätten des Landestheaters eine Premiere vor

Premieren-Tipp "Der Barbier von Bagdad" - Komische Oper von Peter Cornelius, Samstag, 27. April, 19.30 Uhr, Landestheater Coburg (Matinee zur Premiere: Sonntag, 21. April, 11 Uhr, Theater in der Reithalle)

Bauprobe findet meist rund acht Wochen vor Probenbeginn statt. Dabei stellt der Bühnenbildner sein Konzept vor. Auf der Bühne wird dann gemeinsam mit den Mitarbeitern der Werkstätten geprüft, ob sich dieses Konzept überhaupt umsetzen lässt. Erst danach kommt die sogenannte Abgabe. Dazu präsentiert der jeweilige Bühnenbildner seine endgültige Plänen in den Werkstätten - meist drei bis vier Wochen vor dem Probenbeginn für die Darsteller.


Der Produktionsprozess

für die Werkstätten ist schon jetzt im Grunde für die nächste Saison genau terminiert. Bereits jetzt stehen für die Inszenierungen die Termine für die sogenannte technische Einrichtung fest. Von diesem Termin errechnet sich für Thomas Müller ganz automatisch der Produktionsbeginn in den Werkstätten - jeweils neun Arbeitstage davor.

Anschlag heißt jener Vorgang, bei dem in der großen Montagehalle der Werkstätten ein neues Bühnenbild zum ersten Mal zusammengebaut wird. Das passiert immer an einem Samstag. Im Grunde "haben wir alle 14 Tage Anschlag", rechnet Werkstattleiter Thomas Müller vor - von 8 bis 17 Uhr, manchmal auch länger.

Technische Einrichtung (TE) findet jeweils am Montag statt - knapp zwei Wochen vor der Premiere. An diesem Termin wird das Bühnenbild von den Werkstätten übergeben und erstmals auf der originalen Bühne im Großen Haus oder in der Reithalle aufgebaut (für den "Barbier von Bagdad" passiert das am Montag, 15. April, im Landestheater).
Hinter den Kulissen Wie entsteht eigentlich eine Neuinszenierung am Landestheater Coburg? Am Beispiel der Oper "Der Barbier von Bagdad" begleitet das "Tageblatt" den gesamten Probenprozess bis zur Premiere am 27. April.