Puccinis "Butterfly" in Coburg: Klangzauber am Rand des Abgrunds
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 20. Januar 2013
An schlechten Abend kann Puccinis "Madama Butterfly" eine Zumutung sein. Dann ertrinkt das Publikum regelrecht in süßlichen Melodien und peinlicher Fernost-Exotik. An guten Abenden aber wird aus einer vermeintlich rührseligen Operette im Operngewand packendes Musiktheater - wie bei der umjubelten Premiere der Neuinszenierung am Coburger Landestheater.
Das junge Regie- und Ausstattungsduo Alexandra Szemerédy und Magdolan Parditka präsentiert bei seinem umjubelten Coburg-Debüt eine Inszenierung, die klug und unerschrocken mit vielen Klischees der "Butterfly"-Rezeption bricht. Mit einem stummen Vorspiel auf offener Bühne lassen sie von Anfang an keinen Zweifel daran, dass die Geschichte dieser Butterfly nicht die Geschichte einer verratenen Liebe ist, sondern die Geschichte einer eingebildeten, vorgetäuschten Liebe - zwischen Betrug und Selbstbetrug.
Zerbrechliche Poesie
Schonungslos legt die Regie den Kern dieser Geschichte offen - und gerade in dieser Schonungslosigkeit gelingt eine Inszenierung voller zerbrechlicher Poesie: gänzlich unsentimental, illusionslos, aber berührend. Konsequent stellt die Regie den oft vernachlässigten Bezug zwischen Text und Musik her.
Dabei greifen die beiden Regisseurinnen bewusst immer wieder auch auf Passagen zurück, die nach der Uraufführung 1904 in Mailand gestrichen wurden - Passagen, in denen mit großer Deutlichkeit sichtbar wird, wie skrupellos Pinkerton seine Ehe mit Butterfly von Anfang an nur als Scheinehe versteht.
Suggestives Bühnenbild
Dazu haben sich Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka einen klar strukturierten Bühnenraum entworfen, der mit expressiven Schwarz-Weiß-Kontrasten arbeitet. Auf die nach hinten ansteigende Schräge haben sie einen trichterförmig nach vorne geöffneten Raum gestellt, der auf der rechten Seite hinter zwei raumhohen Schiebetüren einen zweiten Raum sichtbar werden lässt, der Butterflys Innenwelt kontrastierend die Außenwelt entgegen setzt.
Dieser präzis am Text orientierte Regieansatz hilft zugleich, Puccinis Musik mit faszinierendem Facettenreichtum zu entfalten. Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig lässt sich mit dem Philharmonischen Orchester sehr intensiv ein auf die szenische Deutung des Duos Szemeréd/Parditka und fächert die Partitur feinfühlig, aber nie gefühlig auf.
Souveräner Dirigent: Roland Kluttig
Nirgends lässt sich Kluttig wegtragen vom Sog dieser Musik, immer achtet er auf Differenzierung in Dynamik wie Klangfarbe und Artikulation. Das Resultat: Puccinis Musik klingt an vielen Stellen unvermutet modern, bisweilen fast hart, oftmals aber auch kammermusikalisch transparent, beinahe zerbrechlich. Bei Bedarf freilich entfaltet das jederzeit sehr inspiriert musizierende Philharmonische Orchester unter Kluttigs souverän gestaltender Leitung auch üppige und schwelgerische Klangfülle, ohne freilich an Kontur zu verlieren.
Mit der Besetzung der Titelrolle der Madama Butterfly durch die aus Südkorea stammende Gastsopranistin Hyunju Park ist dem Landestheater ein veritabler Glücksgriff gelungen. Ihr jederzeit sicher geführter Sopran besitzt dramatisches Potenzial, klingt aber auch im Pianissimo noch substanzreich und tragfähig. Vor allem aber zieht sie das Publikum mit ihrer Rollengestaltung in Bann. Gesang und Darstellung ergänzen und beflügeln sich gegenseitig. Ähnlich intensiv verkörpert als weiterer Gast Sandra Fechner Butterflys Dienerin Suzuki mit warm timbriertem, ausdruckss tarkem Mezzosopran.
Die Figur des Marineleutnants Pinkerton, der sich nach eiliger Hochzeit und schwärmerischem Liebesduett mit Butterfly skrupellos aus dem Staube macht, ist ein Charakter, der wenig Sympathie weckt und deshalb die Regie in manchen Inszenierungen zu seltsamen interpretatorischen Verrenkungen verleitet.
Begeisterter Beifall
Das Duo Szemerédy/Parditka zeichnet ihn mit schonungsloser Direktheit als vergnügungssüchtigen Schwächling, ohne ihn dabei freilich zu denunzieren. Milen Bozhkov setzt dieses Regiekonzept mit großer darstellerischer Intensität um und beeindruckt musikalisch mit geschmeidig geführtem Tenor, den er ohne zu forcieren bei Bedarf regelrecht aufblühen lässt.
Konsul Sharpless ist in dieser Inszenierung kein alter Mann, sondern gleichsam die Stimme von Pinkertons Gewissen und zugleich heimlich verliebt in Butterfly. Benjamin Werth gelingt ein stimmlich wie darstellerisch gleichermaßen eindringliches und differenziertes Rollenporträt. Sorgsam einstudiert: der Chor des Landestheaters, der zugleich darstellerisch lebendig agiert.
Mag die Musikwelt in diesem Jahr allerorten die Antipoden Wagner und Verdi zum 200. Geburtstag feiern - mit dieser "Butterfly" wird 2013 in Coburg ganz ohne äußeres Jubiläum zum Puccini-Jahr. Der Beifall des Premierenpublikums ist jedenfalls verdientermaßen ausdauernd begeistert.
Vorstellungen: "Madama Butterfly" - 23., 25. Januar, 19.30 Uhr, 27. Januar, 15 Uhr, 1., 7., 14., 16. Februar, 5., 10. März, 19.30 Uhr, 24. März, 15 Uhr, 10., 20. April, 19.30 Uhr
Produktionsteam:
Musikalische Leitung: Roland Kluttig
Inszenierung, Bühnnenbild und Kostüme: Alexandra Szemerédy / Magdolna Parditka
Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio
Dramaturgie: Susanne von Tobien
Darsteller:
Cho-Cho San: Hyunju Park
Suzuki: Hayley Sugars
Kate Pinkerton: Gabriele Bauer-Rosenthal / Stefanie Schmitt
Benjamin F. Pinkerton: Milen Bozhkov
Sharpless: Benjamin Werth
Goro: Karsten Münster / David Zimmer
Yamadori: Tae-Kwon Chu
Onkel Bonze: Michael Lion / Sergiy Zinchenko
Yakusidé: Marcello Mejia-Mejia
Der Kommissar: Martin Trepl
Der Standesbeamte: Sergiy Zinchenko
Die Kusine: Tomomi Fujiyama
Die Mutter: Monika Tahal
Das Kind: Julian Lion / Tom Schwerdt
Chor des Landestheaters
Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg
Inszenierung, Bühne und Kostüme:
Das Regieteam Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka verbindet seit ihrer gemeinsamen musikalischen Ausbildung am Konservatorium in Budapest eine enge künstlerische Zusammenarbeit. Seit einigen Jahren entwickeln sie unkonventionelle Bühnenkonzepte, führen gemeinsam Regie und statten zudem ihre Produktionen selbst aus, u. a. an der Ungarischen Staatsoper ("Ascanio in Alba"), bei den Budapester Wagner-Tagen ("Parsifal" und "Tristan und Isolde"), bei der Ruhr- Triennale 2010 (Henzes "Das Wundertheater" und Mozarts "Schauspieldirektor"), am Staatstheater am Gärtnerplatz München ("Erstarrung I" & "Erstarrung II" nach Schuberts "Winterreise") und in Salzburg ("Die Zauberflöte" in Zusammenarbeit mit dem Opernstudio von Kammersängerin Grace Bumbry).
"Madama Butterfly" ist ihre erste Arbeit für das Landestheater Coburg. Ihre nächste Inszenierung wird sie an die Oper in Bonn führen. Alexandra Szemerédy schloss ihr Studium am Salzburger Mozarteum ab, assistierte bei so herausragenden Regisseuren wie Ursel und Karl-Ernst Herrmann, Christine Mielitz und Achim Freyer und wirkte bei zahlreichen Festspielproduktionen in Salzburg mit. Magdolna Parditka studierte als Stipendiatin des Freistaates Bayern an der Akademie der Bildenden Künste in München. Sie gewann den internationalen Wettbewerb des Wagner Forums für Musiktheater "Ring award 2005". Ab 2004 assistierte sie Karl-Ernst Herrmann bei den Salzburger Festspielen sowie im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel.
Gast in der Titelrolle
Die aus Südkorea stammende Sopranistin Hyunju Park absolvierte ihre Gesangsausbildung
von 1993-2000 an der Sookmyung-Universität in Seoul. 2000 kam sie für ein Aufbaustudium an der Kölner Musikhochschule bei Monica Pick-Hieronimi nach Deutschland und legte 2003 ihr Konzertexamen ab. Sie errang zahlreiche Preise bei Gesangswettbewerben, so zum Beispiel 1997 den 1. Preis beim Dong A-Musikwettbewerb in Seoul sowie 2002 die 1. Preise beim NRW-Musikwettbewerb der Stadt Bergheim, beim Internationalen Gesangswettbewerb Köln und bei der International Opera Competition in Shizoka, Japan. Ihre Konzertätigkeit führte Hyunju Park nach Russland und Japan sowie zu Auftritten in Saarbrücken, Bonn, Leipzig und Köln. An den Opernhäusern in Detmold, Heidelberg, Schwerin, Dortmund, Bern und Seoul hat sie sich zudem in den letzten Jahren viele zentrale Partien ihres Fachs erarbeitet.
Hintergrund
Puccinis "Butterfly", am 17. Februar 1904 in Mailand uraufgeführt, reiht sich ein die Tradition von Opern mit exotische Stoffen - von Meyerbeers "Afrikanerin" über Bizets "Perfenfischer" und Massenet "Thais" bis Delibes' "Lakmé"; direkter Vorläufer und Auslöser war Mascagnis "Iris" (1898),
Dokumente zur Rezeptionsgeschichte
Mit traurigem, aber unerschütterlichem Gemüt teile ich dir mit, dass ich gelyncht wurde! Diese Kannibalen hörten sich keine einzige Note an. Welch eine schrecklich hasstrunkene Orgie des Wahnsinns! Aber meine "Butterfly" bleibt, was sie ist: die zutiefst gefühlte, ausdrucksvollste Oper, die ich geschrieben habe.
Brief von Giacomo Puccini an Camillo Bondi, 18. Februar 1904
Da der neuen Oper des Maestro Puccini die Ehre einer einzigen Aufführung im größten Theater Mailands widerfuhr, haben nur gar wenige Leute die Bühnenbilder sehen und bewundern können, die die Maler der Scala mit der gewohnten unübertrefflichen Meisterschaft in Paris angefertigt hatten. Alle die schätzenswerten Vorzüge der Inszenierung entgingen gänzlich der Aufmerksamkeit eines Publikums, das mit der Beobachtung ganz anderer Dinge beschäftigt war. Grunzen, Brüllen, Blöken, Gelächter, Elefantengeschrei, Hohngejohle und da-capo-Rufe, die nur bezwecken sollten, die Zuschauer noch mehr aufzureizen: Das war alles in allem die Aufnahme, die die Besucher der Scala dem neuen Werk Puccinis bereiteten.
Giulio Ricordi (1904)