Wie kann man sich mit der Kraft des Wortes gegen eine Diktatur wehren? Nihad Siris, Gewinner des diesjährigen Coburger Rückert-Preises, erzählt, warum er als Autor auf die Macht der Ironie vertraut und er Friedrich Rückert prophetische Gaben zuschreibt.
Was verbinden Sie mit dem Namen Rückert?Den Namen Friedrich Rückert kannte ich schon früher - insbesondere als jemand, der ein wichtiger Brückenbauer zwischen Orient und Okzident war. Deswegen bin ich besonders stolz, einen Preis in seinem Namen zu erhalten.
Wie wichtig ist für arabische Literatur die Übersetzung in europäische Sprachen?In der Vergangenheit haben die arabischen Sprachen zunächst von Übersetzungen aus europäischen Sprachen profitiert. Erst später begann eine Gegenbewegung von Übersetzungen aus dem Arabischen in europäische Sprachen. Auch in der Moderne wurde zunächst aus den europäischen Sprachen ins Arabische übersetzt. Die Übersetzung in diese Richtung dominiert bis heute. Ich hoffe, dass der Anteil der Übersetzungen in europäische Sprachen größer wird.
Wenn ein Buch von mir in europäische Sprache übersetzt wird, erfüllt mich das mit Freude und Stolz.
Ihr Roman handelt von einem Autor, der mit Schreibverbot belegt wird. Wie wichtig sind autobiografische Aspekte?Das Buch spiegelt Ereignisse, die mir persönlich im Jahr 2000 widerfahren sind. Damals gab es eine Bewegung unter Intellektuellen in Syrien, mit der auch die Zivilgesellschaft reformiert werden sollte. Die Intellektuellen wurden damals davon abgehalten. Es wurde ihnen verboten, weiter ihre Tätigkeit auszuüben. Es wurde ihnen ein Schweigegebot auferlegt. Meine Reaktion auf dieses Redeverbot war dieser Roman. Ich habe mich damals sehr tiefgehend mit den Ursachen für Despotismus und tyrannische Herrschaft beschäftigt. Auch das ist in diesem Buch niedergelegt. Insofern enthält das Buch sehr, sehr viele eigene Erlebnisse.
Dennoch würde ich nicht so weit gehen, zu sagen, dass die Persönlichkeit des Protagonisten identisch sei mit meiner eigenen.
Warum haben Sie bei "Ali Hassans Intrige" den Tonfall einer Satire gewählt?Humor und Ironie haben eine unglaubliche Wirkung. Ein Diktator versucht ja immer, ernst genommen zu werden. Er baut eine Art Hof um sich herum, eine Aura von Ernsthaftigkeit, von Angst und Terror. Wenn ich damit mit den Mitteln der Ironie umgehe, kann ich mit einem Federstrich diese Aura zerstören. Damit erleichtere ich den Menschen ihre Kritik an dem Diktator.
Sind Sie wegen des Buches direkt bedroht worden?Nein. Ich bin nicht konkret bedroht worden. In meinem Fall wurde ich isoliert. Jedes einzelne kleine Werk, das man schreibt, muss gesondert durch die Zensur genehmigt werden.
Und wenn ein Werk diese Genehmigung nicht erhält, dann ist das ein Todesurteil für das Werk.
Wurden und werden Ihre Werke trotz des Verbots in Syrien gelesen?Die allgemeine große Korruption ist manchmal auch hilfreich. Bücher zu schmuggeln ist relativ einfach. Diese Bücher werden in Buchhandlungen zwar nicht ins Schaufenster gestellt, sind aber unter dem Ladentisch zu kriegen. Durch das Internet habe ich sehr viele Rückmeldungen von Lesern bekommen - und die meisten waren äußerst ermutigend und wunderbar.
Haben sich die Reaktionen auf das Buch seitdem verändert?Die Ereignisse in Syrien sind jetzt so bedrohlich, dass die Menschen lieber politische Nachrichten als Literatur lesen.
Ich habe allerdings auch Stimmen gehört, in denen mir Leser bescheinigten, wie sehr ich in meinem Roman bestimmte Entwicklungen bereits prophezeit hätte.
Sehen Sie sich vor diesem Hintergrund als politischen Autor?Viele große internationale Zeitungen haben sich für meine Ansichten über Syrien interessiert und ich habe ihnen geantwortet. Das heißt aber nicht, dass ich ein politischer Autor geworden sei.
Wie sehen Ihre Prognosen für Syrien aus?Syrien ist in einem sehr schlechten Zustand. Das syrische Volk hat sich lange ruhig und unauffällig verhalten, um sein Land zu bewahren. Was in Syrien jetzt passiert, ist ein Aufstand gegen das Töten.
Ich glaube dennoch an den Aufbau einer neuen Regierung, einer Demokratie.
Welche Bedeutung hat vor diesem Hintergrund Rückerts Formel "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung"?Ich danke Ihnen, dass Sie mir dieses Wort gesagt haben. Und ich danke Rückert für dieses geniale Dichterwort. Viele diktatorische Regime haben Dichter und Künstler für Ihre Zwecke benutzt. Heute sehen wir, dass kulturelle Erzeugnisse nicht mehr genutzt werden, Herrscher zu preisen, sondern den Frieden besingen wollen. Insofern verstehe ich heute Rückerts Wort "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung" so, als hätte Friedrich Rückert die Rolle der derzeitigen Poeten in der arabischen Welt voraus geahnt und beschrieben. Denn sie wollen genau das.
Claudia Ott, die Vorsitzende der Jury des diesjährigen Coburger Rückert-Preises, übersetzte das Interview mit dem Autor Nihad Siris.