Druckartikel: Nachtwächter-Saison in Bad Rodach geht zu Ende

Nachtwächter-Saison in Bad Rodach geht zu Ende


Autor: Bettina Knauth

Bad Rodach, Freitag, 20. Sept. 2013

Mit einem letzten Auftritt am Pulverturm verabschiedeten sich die Bad Rodacher Nachtwächter in die Winterpause. Auch Gäste aus Amerika waren dabei.
Letzter Auftritt der Bad Rodacher Nachtwächter für 2013: Am Donnerstag verabschiedeten sich Gert Wortberg, Karl-Heinz Engelhardt, Helmut Jacobi und Samuel Schmidt (von links) vor dem Pulverturm für diese Saison. Immer dabei: Engelhardts Hund Amy. Fotos: Bettina Knauth


"Hört, hört Ihr Leut‘ und lasst Euch sagen, die Glocke hat halb neun geschlagen!" Als der Bad Rodacher Nachtwächter Karl-Heinz Engelhardt am Donnerstagabend diesen Vers aufsagte, war es das letzte Mal für dieses Jahr. Nach 21 Aufführungen gehen die ehrenamtlichen Nachtwächter in die Winterpause. Und da sie sich das ehrgeizige Ziel gesetzt haben, ihre Gäste immer mit neuen Reimen zu unterhalten, klingt das beim Kollegen Helmut Jacobi so: "Hört Ihr Leute in der Runde, für uns schlägt heut‘ die Abschiedsstunde."

In der Kurstadt, in der manch romantischer Winkel zu einer Zeitreise einlädt, wurde das Nachtwächteramt bis 1896 ausgeübt. Der Fremdenverkehrsverein regte 1982 an diese Tradition wiederzubeleben. Seit nunmehr 31 Jahren unterhalten die Nachtwächter ihr Publikum.

"Wir hüten hier die Tradition und das seit 1982 schon", reimt Engelhardt und konstatiert angesichts von über 40 000 Gästen, dass die Nachtwächter eine gute Werbung für die Stadt und die Region sind: "Bürgermeister loben laut, was man in Rodach aufgebaut."

Auch an diesem Donnerstagabend haben sich viele Gäste, überwiegend Kurgäste aus Bad Rodach und Bad Colberg, eingefunden. Los geht es für sie mit einer Führung auf den Nachtwächterturm. Jutta Schmidt erzählte anhand der ausgestellten Bilder, wie die Idee von der europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft entstand und sich weiterentwickelt hat. Später ziehen die Besucher vom Nachtwächterturm hinüber zum Pulverturm.
Die Berlinerin Barbara Grote war schon viele Male in Bad Rodach zu Gast und kann sich noch an den ersten Nachtwächter Wolfgang Grosch erinnern.

Auch Gerhard Friedel weiß, was ihn am Ziel erwartet: "Ich war dabei, als es vor 31 Jahren losging", erzählt der Baiersdorfer. Für seine Frau Kerstin ist die Nachtwächteraufführung eine Premiere, ebenso wie für ihre Gäste aus Coburg/Oregon, die sie mit nach Bad Rodach gebracht haben. Die Amerikaner, Dozent David Crabtree und vier seiner Studenten vom Gutenberg College, logieren derzeit in der Ferienwohnung der Griebels. Alle wollen die europäische Geschichte kennenlernen, sind besonders am ehemaligen Osten interessiert.

Abschiedsrunde

Vor dem festlich illuminierten Pulverturm gleich neben der Alten Schule tragen zum Saisonfinale die drei Nachtwächter Karl-Heinz Engelhardt, Helmut Jacobi und Gert Wortberg sowie Nachwuchstalent Samuel Schmidt ihre Verse vor. Normalerweise findet diese Inszenierung nur am ersten Donnerstag im Monat statt, an allen anderen Donnerstagen von Anfang Mai bis Ende September starten die Nachtwächter um 20 Uhr am Schlossplatz ihre Rundgänge durch die Stadt.
Zwischen ihren Reimen üben sich die Nachtwächter mit unterschiedlichem Erfolg im Hornblasen. Untermalt werden die Darbietungen von den Klängen der Roßfelder Musikanten. Mitten zwischen der Landtags- und der Bundestagswahl durfte bei der Kommentierung aktueller Geschehnisse in Reimform natürlich die Politik nicht fehlen. Sicherer sei es die Kreuzchen auf dem Bierdeckel zu machen, rät Kollege Gert Wortberg. Wie viele es bei ihm sein werden, bleibt dann aber geheim.

Viele Themen

Auch das wechselhafte Wetter, von der "Sintflut" bis zur unerträglichen Hitze" wird kommentiert. "Lehrling" Samuel Schmidt zeigte keine Scheu vor den zahlreichen Besuchern. "Ich versuche die Leute zum Lachen zu bringen", beschreibt der Zwölfjährige am Rande der Veranstaltung seine selbstgedichteten Reime. Selbst beim diesjährigen europäischen Treffen der Nachtwächter und Türmer in Weiden war der Junior schon dabei.

"Wir wollen nun unseres Amtes walten und dann bis Mai die Klappe halten", kündigt Schmidt auf der Bühne an. Nicht nur seine Reime, auch sein Blasen nötigt den Altgedienten Respekt ab: "Blasen kann er schon", kommentiert Engelhardt, der bereits seit zehn Jahren dabei ist, mit Hund Amy an seiner Seite. Er fügt augenzwinkernd hinzu: "Da kann ich schon aufhören."

Bevor der dritte Bürgermeister Heinrich Adam Püls als ehemaliger Dienstherr der Nachtwächter die große Laterne an der alten Stadtmauer ausblies, blickte er zurück auf den ersten Auftritt der Nachtwächter am 27. Juli 1982 auf dem Marktplatz, zu dem rund 1000 Gäste gekommen waren. Zuvor seien die Stadträte Zielscheiben des Spotts gewesen, erinnerte sich Püls. "Ihr seid doch die Nachtwächter!", habe man sich anhören müssen. Inzwischen seien die Auftritte ein ganz wichtiger Teil der Attraktionen, für Kurgäste wie für Einheimische.
Mit dem Löschen des Lichts hatten die Nachtwächter noch keinen Feierabend: Zusammen mit den Gästen brachen sie in Richtung Stadl des Café Fadler am Markt auf, wo der Abend mit dem gemeinsamen Singen von Volksliedern ausklang. Zeit hatten selbst die Kurgäste aus Bad Colberg reichlich: Zum Saisonfinale wurde ihre "Sperrstunde" um eine Stunde verlängert, das "Bähnle" fuhr später als üblich zurück.

Den Gästen aus dem fernen Coburg in Oregon hat der Auftritt der Nachtwächter sehr gut gefallen: "Das war sehr interessant, auch wenn wir nicht alles verstanden haben. Bei uns in Amerika gibt es diese Tradition der Nachtwächter leider nicht", kommentiert Crabtree. Seine Studenten hatten "a lot of fun". Der amerikanische Dozent für Geschichte kann von seinem vierten Besuch im deutschen Coburg ein besonderes Andenken mit nach Hause nehmen, denn Kerstin Friedel hat Griebel den Terrakotta-Nachtwächter, den sie bei der Verlosung zum Schluss der Veranstaltung gewonnen hat, geschenkt.

Die Berlinerin Grote hat derweil Verbesserungstipps parat: "Kann man die Turmstube nicht verlagern? Früher gab es doch die alte Stube. Gerade Kurgäste können oft nicht gut laufen, schon gar nicht diese Hühnerleiter hinauf. Die Kurklinik besuchen doch keine Turner!" Und ihr Schwager schlägt vor, die Bäume auf dem Schlossplatz von unten zu beleuchten.

So kam es zu den Nachtwächtern

Hintergrund Als touristisches Angebot besann sich der Fremdenverkehrsverein von Rodach (heute der Kur- und Tourismusverein Bad Rodach und Umgebung ) 1982 auf die Tradition des Nachtwächters. Am 27. Juli trat der erste Nachtwächter auf. Ein Jahr später fand in der Kurstadt das erste deutsche Nachtwächtertreffen mit Vertretern aus Dinkelsbühl, Meersburg, Münster, Nördlingen, Prichsenstadt, Rothenburg und Rodach statt. Auf dem Georgenberg beschlossen die Teilnehmer eine Nachtwächter- und Türmerzunft zu gründen. Nachdem auch andere Länder Interesse zeigten, wurde 1987 im dänischen Ebeltoft die europäische Nachtwächter- und Türmerzunft gegründet. Aus bürokratischen Gründen nicht in deren Zentrum Bad Rodach, der "Stadt der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft": Weil es in Deutschland eine solche Zunft nie gab, konnte sie nämlich auch nicht neu gegründet werden. Der von der Zunft verfolgte Gedanke drückt sich in der dritten Strophe der europäischen Nachtwächter- und Türmerhymne aus: Wächter, Türmer, die sich finden, schlingen festes Band,