Druckartikel: Magisches über dem Steinbruch in Lehesten

Magisches über dem Steinbruch in Lehesten


Autor: Jochen Berger

Coburg, Donnerstag, 18. Oktober 2012

Was kann passieren, wenn eine Künstlerin einen Ort und seine Geschichte in Kunst verwandelt? Susan Liebold hat eine Installation über einen Schieferbruch im ehemaligen Sperrgebiet an der Grenze zwischen Franken und Thüringen geschaffen.
"Oertelsbruch" hat die Glaskünstlerin Susan Liebold diese Arbeit genannt - eine Installation, zu der auch dieses Objekt zählt. Fotos: Jochen Berger


Hasenthal — Große Kunst entsteht manchmal scheinbar zufällig. Ihr genügt bisweilen ein ganz äußerlicher Anlass als Impuls, um einen kreativen Prozess auszulösen, der dann doch wieder einer scheinbar unausweichlichen inneren Logik folgt. Das gilt auch für eine außergewöhnliche Installation, mit der sich die Glaskünstlerin Susan Lie bold am renommierten "Jutta-Cuny-Franz Award" beteiligt. "Oertelsbruch" lautet der Titel ihrer Arbeit, die Kunst und Geschichte in faszinierender Weise kombiniert. Entstanden ist dieses Werk in vielen strapaziösen Nachschichten innerhalb weniger Wochen.

Wer von Thüringen, seiner Kunst und den regionalen Besonderheiten spricht, landet unweigerlich bei den Begriffen Glas und Schiefer. Glas und Schiefer sind denn auch die entscheidenden Komponenten in der neuen Arbeit der in Hasenthal in der Nähe von Sonneberg lebenden Künstlerin.

Ungewöhnlich schon der Ort, an dem Susan Liebold ihre Arbeit in Szene gesetzt hat: der Oertelsbruch bei Lehesten im ehemaligen Sperrgebiet, der eine wechselhafte Geschichte erlebt hat. Jahrhunderte hindurch wurde dort Schiefer abgebaut. Das hat die Landschaft nachhaltig verändert, hat tiefe Täler mit schroffen Kanten in das Gelände gefressen.

Längst ist der Oertelsbruch dem Untergang geweiht - ein "Lost Place", sagt Susan Lie bold", ein Ort, der im Wald versinkt: "Alles verfällt". Die Natur holt sich zurück, was ihr einst gehörte.

Verlassen sind die Häuser, blinde Höhlen die Fenster, überwuchert von Grün auch die Oertel-Villa. Und drinnen Susan Liebolds Installation, die leuchtendes Glas und zerbrochene Spiegel verbindet und diesen Ort des Verfalls zwei Nächte lang in einen Ort der Kunst verwandelt hat.


Symbol des Friedens und der Ruhe


Wie ein Raumschiff schwebt ihr gläsernes Objekt in der Mitte des Raumes. Im Inneren dieses Objektes ein stachelig anmutender Kern, darum herum eine Hülle, die an einer Seite aufgesprengt ist. Eine Momentaufnahme unmittelbar nach einer verheerenden Explosion? Das losgesprengte Segment jedenfalls ist an der gegenüber liegenden Wand gelandet. Unter dem Objekt ein von verwitterten Backsteinen gefasster Kreis, in dem zerbrochene Spiegel liegen.

Ein Symbol der Vergänglichkeit, des Untergangs, des Verfalls - und irgendwie aber auch ein Symbol des Friedens, der Ruhe, die endlich eingekehrt ist an diesem Ort. Schiefer ist das Schicksal dieses Ortes. Der Abbau von Schiefer bescherte Lehesten lange Zeit viele Arbeitsplätze und dem Unternehmer Karl Oertel beträchtlichen Reichtum. Als der Schieferabbau in Zeiten der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg rapid an Bedeutung verlor, nahte ein düsteres Kapitel in der Geschichte Lehestens.

Im Endstadium des Zweiten Weltkrieges trieben die Nationalsozialisten ein in jeder Hinsicht mörderisches Rüstungsprojekt voran. Hier wurden im Testbetrieb die Triebwerke der "V2" erprobt, hier mussten KZ-Häftlinge Stollen in die Berge treiben. Viele der rund 2500 zumeist politischen Gefangenen verloren dabei ihr Leben.
Diese Geschichte Lehestens, aber auch die Bedeutung des Werkstoffs Glas verschmilzt Susan Liebold in ihrer Installation - Kunst als Mahnung und zerbrechliche Hoffnung.