Literatur und Diktatur - wie passt das zusammen? Mit "Ali Hassans Intrige" hat Nihad Siris einen "Roman aus Syrien" geschrieben. Der Autor steht auf der Shortlist für den diesjährigen Coburger Rückert-Preis.
Hitze, Folter, Führerkult - wer dieses Buch liest, tritt eine Reise in eine ferne, fremde, erschreckende Welt an. Wie fühlt sich das Leben in einer ganz normalen arabischen Diktatur an, wie fühlt sich das Leben an in Syrien vor der Zeit des blutigen Bürgerkriegs? "Ali Hassans Intrige" hat der syrische Autor Nihad Siris seinen Roman über einen Schriftsteller genannt, der in die Mühlen der Unterdrückung gerät.
Der Leser begleitet den Ich-Erzähler Fathi Abdalhakîm Schîn auf seinem Weg durch die glutheiße Stadt - mitten durch die jubilierenden Massen, die pflichtschuldigst an einer der vielen Kundgebungen zu Ehren des großen Führers teilnehmen.
Ironischer Tonfall Der Erzählstil dieses Romans ist für mitteleuropäische Leser sicher ungewohnt.
Nihat Siris braucht keine raffinierten Konstruktionen, um seine Geschichte irgendwie interessant zu machen. Er erzählt vielmehr scheinbar völlig geradlinig und weitgehend chronologisch mit einigen Rückblenden. Doch schon nach wenigen Seiten entfaltet dieses Buch regelrecht eine Sogwirkung.
Anschauliche Sprache Das liegt sicher nicht zuletzt am besonderen Stil dieses Romans mit seiner prägnanten, anschaulichen Sprache. Schnörkellos, schlank, witzig, anspielungsreich und ironisch entlarvend im Tonfall - so schildert der Autor den befohlenen Jubel der Massen mit einer lakonischer Präzision, die das Grauen wie ein absurdes Theater erscheinen lässt.
Jubel-Aufmärsche Die Massen verkeilen sich bei diesen Jubel-Aufmärschen gnadenlos in den Straßen.
Dass dabei mit verlässlicher Regelmäßigkeit Menschen zu Tode getrampelt werden, stört anscheinend niemanden wirklich. Im Gegenteil: Die toten Jubilierer, die sich in den Gängen des Krankenhauses stapeln, werden ganz einfach flugs zu Märtyrern erklärt.
Namenloser Diktator Der Ich-Erzähler ist ein Autor, der bei den Machthabern in Ungnade gefallen ist und literarisch zum Schweigen gebracht wurde. Doch richtig perfide wird die Geschichte erst, als die Schergen des Diktators auf die Idee verfallen, ihn mit einer fast diabolisch zu nennenden Intrige zur Mitarbeit zu zwingen. Die kritische literarische Stimme soll zum Lobsänger des Diktators werden - als Leiter einer staatlichen Medienbehörde.
Seine einzige Zuflucht, sein einziger Ausweg ist die Liebe, die Beziehung zu seiner Geliebten Lama, die ihm Halt gibt.
"Na los, Mann! Sei doch mal realistisch", rät ihm seine eigene Schwester: "Die Welt hat sich verändert. Jeder versucht doch, möglichst auf Tuchfühlung mit den Schranzen des Führers zu kommen."
Nihad Siris Roman ist im Original vor Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien erschienen und liegt nun in deutscher Übersetzung als Taschenbuch vor.
Großer Führer - so bezeichnet Nihad Siris den namenlos bleibenden Diktator in seinem Roman. Ohne Mühe ließe sich diese Bezeichnung durch den Namen Assad ersetzen. Doch dem Autor geht es eben nicht vordergründig um eine konkrete Person der Gegenwart, sondern um das Herrschafts- und Unterdrückungsprinzip generell.
Bewusst lässt Siris den Schluss seines Romans offen. Nihad Siris, der zunächst Bauingenieurwesen studierte und danach ein eigenes Ingenieurbüro in Aleppo leitete, bevor er Schriftsteller wurde, flüchtete übrigens im Jahr 2011 aus Syrien und lebt inzwischen in den USA.