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Gruselig schöne Geisterwelt


Autor: Jochen Berger

Coburg, Dienstag, 06. November 2012

Was passiert eigentlich, wenn man sich auf diese Oper einlässt? Urte Regler inszeniert Brittens "Die Drehung der Schraube".
Regisseurin Urte Regler bei der Probenarbeit zu Benjamin Brittens Kammeroper "Die Drehung der Schraube". Fotos: Jochen Berger


Im Grund ist diese Inszenierung ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk - eine Huldigung an den Komponisten Benjamin Britten, der 1913 geboren wurde. Seine Kammeroper "Die Drehung der Schraube" feiert am Samstag (10. November) Premiere in Coburg. Regie führt Urte Regler.

infranken.de: Wie bringt man ein Stück mit sechs Darstellern und dreizehn Musikern samt Dirigent in der Reithalle auf die Bühne?
Urte Regler: Das ist natürlich schwierig, zumal das Instrumentarium ziemlich umfangreich ist - mit Flügel, Celesta und reichlich Schlagwerk. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, eine Art Drehbühne für die Darsteller auf zu bauen mit etwas Spielfläche davor. Es gibt nicht wahnsinnig viel Platz, aber letztendlich braucht man tatsächlich gar nicht so viel Platz. Eigentlich kommen wird damit gut aus. Wir fanden die Idee, ein drehendes Element mit ins Bühnenbild einzubeziehen, ganz schön, das nimmt dann auch Bezug auf den deutschen Titel "Die Drehung der Schraube". Tatsächlich dreht sich die Geschichte ja wie eine Schraube immer tiefer rein.

Wie beschreiben Sie in zwei, drei Sätzen, worum es in dieser Oper geht?
Im Grunde geht es um eine namenlos bleibende Gouvernante, die sich um zwei Kinder kümmern soll, deren Eltern gestorben sind. Von deren Onkel erhält sie die Aufgabe, sich ganz selbstständig um diese Kinder zu kümmern. Als sie auf dem Landgut in Bly ankommt, ist sie zunächst total glücklich, merkt dann aber, dass mit diesen Kindern etwas nicht stimmt: Sie sieht Geister, von denen sie der Meinung ist, dass sie Besitz von den Kindern ergreifen.

In Ihrer Inszenierung ist also die Gouvernante die zentrale Figur?
Absolut. Die große Frage dabei ist: Existieren die Geister nur im Kopf der Gouvernante, ist das Ganze also nur ein Psychodrama? Oder sind die Geister wirklich da und sieht die Gouvernante Sachen, die andere Leute nicht sehen können? Daraus ergibt sich die wichtige Frage: Sehen die Kinder die Geister oder nicht? Die Literaturwissenschaft ist sich in Bezug auf die literarische Vorlage von Henry James in dieser Frage völlig uneins.

Legen Sie sich fest?
Ja, ich habe mich entschieden, aber ich möchte es für die Zuschauer lieber offen lassen. Für die Inszenierung selbst muss man sich allerdings entscheiden, weil es einen ganz konkreten Einfluss darauf hat, wie ich mit den Geistern umgehe in Bezug auf die Kinder. Denn die Darsteller müssen schließlich wissen, ob sie durch die Geister hindurchsehen oder nicht. Ich muss den Darstellern ja sagen, wie sie agieren sollen. Gleichzeitig will ich in meiner Inszenierung ganz bewusst auch nicht alles erklären. Schon in dem Buch von Henry James gibt es wahnsinnig viele vage Andeutungen. Aber absolut nichts Konkretes.

Wie verhält sich die Oper zur literarischen Vorlage?
Benjamin Britten bleibt in seiner Oper unheimlich dicht dran an der Vorlage, sogar im Aufbau. In der Oper gibt es zwei mal acht Szenen jeweils mit einem instrumentalen Vorspiel. Und auch im Buch wird immer wieder in Szenen hineingeblendet, das ist fast ein filmisches Einblenden in die Szene.

Das macht die Regie leichter oder schwerer?
Interessanter. Natürlich muss versuchen, die Zeitsprünge zu erzählen. Interessant dabei: Im ersten Teil gibt es große Zeitsprünge zwischen den Szenen, und im zweiten Teil wird es viel, viel dichter. Die Szenen werden dann auch viel intensiver. Bei Britten baut das jeweilige Orchesterzwischenspiel immer die Spannung auf für die nächste Szene.

Wie groß ist die Herausforderung für die Darsteller?
Für die Sänger ist diese Oper wahnsinnig anspruchsvoll. Die Musik bietet nicht so viele Anhaltspunkte, an denen sich die Sänger orientieren können. Und auf der Bühne wiederum gibt es nur sehr wenige Requisiten. Das heißt: Die Sänger sind auch darstellerisch ganz auf sich angewiesen, sie müssen sich sehr am Text und an der Psychologie der Figuren orientieren. Das macht die Aufgabe natürlich nicht unbedingt leichter.

Was reizt Sie an dieser Oper?
Das Stück ist großartig. Ich finde die Musik ganz großartig, Brittens Instrumentation ist wunderbar, sie entfaltet einen solchen Farbenreichtum. Faszinierend ist, wie Britten die Psychologie der Figuren in die Musik hineinlegt. Seiner Musik hört man an, dass er ganz genau weiß, wie die Figuren auf der Bühne fühlen und denken. Im Grunde kann ich deshalb für die Inszenierung ganz viel aus der Musik herausnehmen. Das Stück ist total spannend, nicht leicht, aber total faszinierend in dem Zwiespalt der Wahrnehmung: Was ist wirklich, was ist nur geträumt. Spannend ist auch die Dialektik der Figuren. Alle Figuren haben verschiedene Ebenen. So ist Quint als böser Charakter angelegt, gleichzeitig aber ist ihm als Instrument die Celesta zugeordnet, das Himmelsinstrument.

Wie besetzen Sie die Rollen der Kinder?
Den Miles singt eine junge Absolventin der Dresdner Hochschule, Karolin Trübenbach. Und die Flora übernimmt Carolin Rogos, die schon in unserer "Brundibar"-Produktion eine kleine Solorolle gestaltet hat. Von den Stimmen passen beide wunderbar zusammen. Das sind wirklich große Partien.

Was passiert, wenn Sie und die Darsteller sich einige Probenwochen in eine Geisterwelt begeben?
In Amerika sagt man, auf diesem Stück laste ein Fluch. Jeder, der dieses Stück aufführt, leide irgendwann darunter, dass er schlecht schlafe. Ich entdecke das bei uns auch ein wenig. Selbst auf der Probebühne gibt es Stellen, wo man wirklich eine Gänsehaut bekommen kann. Das ist aber zugleich auch das Schöne an dieser Produktion.




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