Die Aufführung von Carl Heinrich Grauns "Der Tod Jesu" wurde in Dörfles-Esbach zu einem guten Beispiel für eine gelungene fränkisch-thüringische Kultur-Kooperation.
Die Musikgeschichte kann eine strenge Richterin sein. Kompromisslos fällt sie ihre Urteile und ist nur selten zur Revision bereit. Manchmal verbannt sie Werke ins Abseits, die zuvor über Jahre und Jahrzehnte hinweg viele Zuhörer gefunden haben. Wer außer gut informierten Kirchenmusikern kennt denn heute noch Carl Heinrich Grauns Oratorium "Der Tod Jesu"? Dabei erfreute sich die 1755 komponierte Passionskantate rund hundert Jahre lang großer Beliebtheit - nicht nur in Berlin, weil Graun ehedem hoch geachteter Kapellmeister am Potsdamer Hof von Friedrich II. war. Warum aber geriet das Werk dann gründlich in Vergessenheit?
Diese Frage mögen sich auch die zahlreichen Zuhörer gestellt haben, die Grauns "Tod Jesu" am Palmsonntag in einer engagierten Aufführung in der Kirche "Zum Guten Hirten" in Dörfles-Esbach erlebt haben.
Sonnebergs Kreiskantor Martin Hütterott hatte dazu und für eine Wiederholung anschließend in Sonneberg die Kantorei "Zum Guten Hirten", die er seit sechs Jahren betreut, mit dem Oratorienchor St. Peter aus Sonneberg vereint. Und den Instrumentalpart vertraute er dem in reiner Streicherbesetzung samt Orgelcintuno (stets umsichtig: Hartmut Kaufmann) angetretenen Sonneberger Kammerorchester an, ohne dass die im Original vorgesehenen Bläserstimmen allzu sehr vermisst worden wären.
Selbst den von Hütterott angekündigten kurzfristigen Ausfall des ursprünglich vorgesehenen Bassisten wusste er zu kompensieren. So übernahm einfach Tenorsolist Nils Giesecke einige Bass-Soli zusätzlich.
Warum also ist Grauns "Tod Jesu" so gründlich vergessen worden? Wer dieses Werk hört, sollte sich natürlich jeden Vergleich mit den großen Passionen Bachs verbieten.
Schon rein formal ist Grauns Passionskantate ganz anders angelegt als Bachs Passionen nach Johannes und Matthäus, die den Evangelienbericht als roten Faden nehmen. Carl Wilhelm Ramlers Text dagegen fußt zwar auch auf biblischen Texten, verzichtet aber auf den Evangelisten als Erzähler und schildert das Passionsgeschehen in weiten Teilen in Form von Betrachtungen.
Zwischen Barock und Frühklassik Für engagierte Laienchöre aber ist diese Passionskantate auch heute noch eine interessante, mit Konzentration und Engagement gut zu bewältigende Aufgabe. Sonnebergs Kreiskantor Martin Hütterott bewährte sich jedenfalls in Dörfles-Esbach als routinierter Kirchenmusiker, der Chor und Orchester jederzeit umsichtig führte und bei Bedarf auch energische Akzente setzte, um den rhythmischen Zusammenhalt zu sichern.
Stilistisch balanciert Grauns Werk auf der Grenze zwischen
Barock und Frühklassik. Dramatische Zuspitzungen wie in Bachs "Johannes-Passion" oder expressive Verdichtung wie in den großen Arien der "Matthäus-Passion" finden sich hier kaum. Graun vertraut in weiten Teilen auf Schlichtheit des Ausdrucks, den er freilich an zentralen Stellen des Textes durchaus intensiv in Musik zu verwandeln wusste - von der Furcht Jesu im Garten Gethsemane bis zur Klage über den Kreuzestod. Das Accompagnato-Rezitativ "Er ist nicht mehr" (bei dieser Aufführung vom Tenor-Solisten übernommen) wird zum ausdrucksmäßigen Höhepunkt.
Mit der Sopranistin Ursula Targler-Sell und dem Tenor Nils Giesecke hatte Hütterott zwei stilsichere Vokalsolisten zur Verfügung, die nicht nur koloraturengewandt agierten, sonder auch mit sicher geführter Stimme stets textbezogen zu gestalten wussten.
Das aufmerksam musizierende Kammerorchester Sonneberg bot Solisten und Chor den jederzeit sicheren instrumentalen Rückhalt.
Ausdauernder Beifall Die vereinten Chöre aus Dörfles-Esbach und Sonneberg wiederum sangen stets aufmerksam und beachtlich homogen im Klang und setzten die gestalterischen Impulse ihres Dirigenten jederzeit mit großem Engagement um.
Das Publikum ließ sich von Grauns Passionskantate spürbar in Bann ziehen und dankte denn auch am Ende sämtlichen Interpreten mit verdientermaßen ausdauerndem Beifall.
Die Geschichte eines vergessenen Erfolgs Passionskantate Grauns Passionskantate, 1755 auf einen Text von Carl Wilhelm Ramler komponiert, erfreute sich etwa ein Jahrhundert lang größter Beliebtheit - vergleichbar heutiger Beliebtheit von
Bachs Matthäuspassion. Allein in Berlin wurde diese Kantate zwischen 1798 und 1848 über 40 Mal aufgeführt, und in ganz Deutschland gab es nicht weniger als 120 Aufführungen. Graun, Schüler der Dresdner Kreuzschule, wurde 1725 Tenor an der Braunschweiger Oper und 1727 dort Vizekapellmeister. 1735 trat er in den Dienst des preußischen Kronprinzen Friedrich II und stieg schnell zum Kapellmeister am Potsdamer Hof auf; dieses Amt behielt er bis zu seinem Tod. Er war einer der wichtigsten Schöpfer des Berliner Komponistenkreises, der einen ganz eigenen italianisierenden Stil entwickelte.
Graun in Sonneberg Ausschnitte aus Grauns "Tod Jesu" waren bereits vor vier Jahren in der Sonneberger Stadtkirche St. Peter zu hören - interpretiert damals vom Oratorienchor St. Peter, der Kantorei "Zum Guten Hirten" und Mitgliedern der Stadtkantorei Hildburghausen unter Leitung von Martin Hütterott.