Auf Flügeln des Gesangs
Autor: Jochen Berger
Coburg, Samstag, 13. Oktober 2012
Wie Orffs "Carmina Burana" die Jugendlichen des Theater- und Konzertkinderchors und den Chor "Unerhört" zur Höchstleistung treibt.
"O Fortuna". Wer dieses Stück tatsächlich nicht kennen sollte, hat vermutlich noch nie Musik gehört. "O Fortuna" tönt es mit geballter Stimmkraft in der Aula der Coburger Rückertschule. Mit dieser Beschwörung der Glücksgöttin Fortuna beginnt Carl Orff seine "Carmina Burana".
Im wuchtigen Fortissimo
Mit eben dieser Beschwörung beginnt der Coburger Chor "Unerhört" gemeinsam mit Jugendlichen des Theater- und Konzertkinderchors seine abendliche Probe. Diese vier Silben, im wuchtigen Fortissimo angestimmt, sind vielleicht die bekanntesten Klänge der europäischen Chormusik überhaupt. Sie gehen gnadenlos ins Ohr und prägen sich scheinbar mühelos ein.
Heikle Rhythmen
Genau damit aber beginnt ein Missverständnis. Denn so einfach, wie Orffs "Cantiones profanae", seine weltlichen Gesänge, zu klingen scheinen, sind sie in Wirklichkeit ganz und gar nicht. Das weiß Antoinetta Bafas, die sich mit ihrem Chor an diese Herausforderung wagt. Wenn es gelingt, klingen Orffs Rhythmen kinderleicht. Dabei sind sie oftmals vertrackt und voller Tücken. Damit freilich nicht genug: Bisweilen muss der Chor beträchtliche Höhen singend erklimmen, ohne allzu schrill zu klingen.
Vor allem aber: Mit purer Kraft und Lautstärke ist diesem Werk nicht beizukommen. Sonst droht allzu schnell Gleichförmigkeit.
Geflüstertes Pianissimo
"Jeder Ton ist ein Hammer", beschreibt sie die wuchtigen Eröffnungsakkorde "O Fortuna", um dann bei der folgenden Pas sage ("semper crescis") genau so konsequent ein fast geflüstertes Pianissimo zu fordern. Die fein abgestufte Lautstärke allein aber reicht noch längst nicht, um Orffs Partitur wirklich spannungsvoll zum Klingen zu bringen. Mindestens genauso wichtig ist die sorgfältige Artikulation. Manche Passagen müssen scharf und schroff gesungen werden, manche Töne dann aber wiederum weich fließend intoniert werden.
"Ich will Euer Gesicht sehen"
Das aber kann nur gelingen, wenn Chor und Dirigentin ständig dialogisieren, wenn die Sänger den Blick von den Noten lösen. "Ich will Euer Gesicht sehen", sagt Antoinetta Bafas und fordert eindringlich: "Sucht den Kontakt mit dem Publikum." Viel hängt ab von der sorgfältigen Behandlung des Textes, der zwischen Latein, Althochdeutsch und Altfranzösisch hin und her springt. "Die Konsonanten sind ganz, ganz wichtig, um den Text überhaupt verständlich werden zu lassen", fordert Antoinetta Bafas am Anfang mit großem Nachdruck.
Hartnäckigkeit lohnt sich
Das gilt nicht nur für den Eröffnungschor "O Fortuna", sondern für jede der insgesamt 25 Nummern des etwa einstündigen Werkes. Die Hartnäckigkeit lohnt sich. Zwei, drei Wiederholungen später hat Orffs Musik unüberhörbar an Prägnanz und Deutlichkeit gewonnen - und damit auch an Ausdruckskraft und Intensität.