Für die Liberale Jüdische Gemeinde um Rabbinerin Yael Deusel war dieser Schabbat ein Festtag: Sie bekam endlich eine Torarolle für den Gottesdienst.
Endlich war der große Moment gekommen! Behutsam wickelte Rabbinerin Yael Deusel die Torarolle aus dem Tallit - unter Gebet und Segenssprüchen. Dann nahm sie das wertvolle Stück in die Arme und trug es durch den vollbesetzten Betsaal am Schillerplatz. Junge wie Ältere berührten mit ihrem Gebetsschal in der Hand die Tora, sichtlich ergriffen und ernst bei aller Freude. Ihr sehnlicher Wunsch war in Erfüllung gegangen: Ihre Liberale Jüdische Gemeinde Mischkan ha-Tfila Bamberg e.V. hat nun eine eigene Torarolle.
Bisher konnte eine solche für die hohen Feste nur ausgeliehen werden."Die Torarolle enthält das Heiligste, was das Judentum kennt, nämlich den Namen des Ewigen, und sie stellt die Lehre des Ewigen dar - als solche ist sie damit nicht nur ein bloßer Gegenstand", erklärt Rabbinerin Deusel gegenüber unserer Zeitung.
Als erstes zu retten
Eine Sefer Tora sei der wichtigste Bestandteil in einer Synagoge und das allererste, was man im Notfall rette: "Auch unter Einsatz des eigenen Lebens", erinnert die Rabbinerin etwa an Willy Lessing. Der damalige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Bamberg hatte in der Reichspogromnacht 9./10. November 1938 die Torarolle aus der brennenden Synagoge geholt. Was danach durch brutale Nazis geschah, kostete den mutigen Mann sein Leben.
"Die Rolle ermöglicht uns nun, einen vollständigen Schabbatgottesdienst durchzuführen, zu dem am Samstagmorgen, am Schabbat Schacharit, die Toralesung gehört, ebenso wie die Toralesung an den jüdischen Feiertagen",erläutert die Rabbinerin. Diese Lesung erfolge traditionell aus einer Sefer Tora, die die handgeschriebenen fünf Bücher Mose in Hebräisch enthalte, und nicht aus einem gedruckten Buch. Allerdings habe normalerweise der Vorleser oder die Vorleserin einen Tikkun oder Chumasch vor sich, das bedeutet eingedrucktes Buch mit dem masoretischen Text, der auch die Vokal- und die Kantillationszeichen enthalte. Die Rolle selbst enthalte diese nicht,sondern nur den Konsonantentext, zudem ohne Satzzeichen, ohne Kapiteleinteilung und ohne Seitenzahlen.
In diesem Schabbatgottesdienst rief die Rabbinerin Gemeindemitglieder zur Tora - aufgerollt bis zu der Textstelle, die gelesen werden sollte. "Jeder und jede religionsmündige Jude und Jüdin kann vorlesen, nämlich ab dem Bar/Bat Mitzwa-Alter", so Yael Deusel. In der Orthodoxie sei es nur den Männern erlaubt.
Eine Dauerleihgabe
Auch Ehrengast Irith Michelsohn las in fließendem Hebräisch vor. Die Generalsekretärin der Union Progressiver Juden und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bielefeld, hat die circa 250 Jahre alte Torarolle aus ihrem Privatbesitz den Bambergern als Dauerleihgabe mitgebracht. "Ich kenne Rabbinerin Deusel sehr gut", lächelte Irith Michelsohn. Und außerdem wolle sie die "Liberale Jüdische Gemeinde im Aufbau unterstützen, die es nicht leicht hat". Eine Intention, die ihr Ehemann teilt: Yval Adam gestaltete als stimmgewaltiger Kantor den festlichen Schabbatgottesdienst mit. Eigentlich gehört zu jeder Torarolle auch ein fest eingebauter Aron Hakodesch: ein Toraschrein. Den gibt es in dem Betsaal am Schillerplatz 14 nicht: "Aber natürlich wird die Rolle sorgfältigst aufbewahrt außerhalb der Gottesdienstzeiten", betont die Rabbinerin. Und äußert einen nächsten Wunsch: nämlich den nach einem eigenen, nur von ihrer Gemeinde genutzten Betsaal, der ständig zur Verfügung steht. Und zwar nicht nur für Gottesdienste, sondern auch für den Religionsunterricht der Kinder oder für Vorträge.
Rabbinerin Yael Deusel
sagte lt. Marion Krüger-Hundrup, dass eine Sefer Tora der wichtigste Bestandteil in einer Synagoge sei und im Notfall „auch unter Einsatz des eigenen Lebens“zuerst gerettet werden müsse. So habe z. B. Willy Lessing, der damalige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Bamberg, in der Reichspogromnacht 9./10. November 1938 die Torarolle aus der brennenden Synagoge geholt.
Das stimmt nicht, auch wenn es immer wieder behauptet wird. Am 10. November [1938] gegen 2 Uhr morgens erhielt Lessing einen Anruf aus dem jüdischen Gemeindezentrum Weiße Taube [Generalsgasse Nr. 15], dass die Synagoge brenne. Er zog sich an und ging zum Brandplatz. Kurz nach 2 Uhr traf er am Ort des Geschehens ein, wo er in der Urbanstraße an einer Absperrung erkannt wurde und von einem SA-Mann unter Beschimpfungen bis zum Eckhaus Herzog-Max/Amalienstraße getrieben wurde. Dort wurde er schwer misshandelt (vgl. meine Website Reichspogromnacht in Bamberg). Sein Gesamtverhalten soll durch diesen Hinweis nicht geschmälert werden. Die Ausschreitungen bleiben ein Verbrechen.