Syrer aus Bad Brückenau sollte zur Armee

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Bankien Ali führt den Imbiss La Familia in Bad Brückenau. Alle zwei Jahre muss er in der syrischen Botschaft seinen Pass verlängern lassen. Doch dieses Mal kam keine Verlängerung, sondern ein Anruf aus Berlin.

Es ist etwas zu gig im "La Familia". Ein Aquarium blubbert, der Döner-Spieß dreht sich, nebenan stehen zwei Spielautomaten. Über den Flachbildschirm an der Wand laufen lautlos die Nachrichten. Obama. Schuldenkrise. Nahost. Hinter dem Tresen steht ein Mann mit lachenden Augen. Bankien Ali führt zusammen mit seiner Frau, der Brückenauerin Jacqueline Krause, den Imbiss am Marktplatz seit zweieinhalb Jahren. Al les war wie immer. Bis Ali die Berliner Nummer auf sei nem Display entdeckte.

Bankien Ali ist Syrer. Ein Großteil seiner Fa milie lebt noch dort. "Jeden Tag habe ich Angst, dass ihnen etwas passiert." Zum Beispiel seinem Bruder Reder, der in Damaskus arbeitet, wo der Bürgerkrieg zwischen dem Re gime von Staatschef Assad und der Opposition tobt. Als Se curity-Mann bewacht Reder ei nen Bürokomplex in der syrischen Hauptstadt. Seine Frau und die drei Kinder haben sich in Alis Vaterhaus in Sicherheit gebracht. Das steht im Ort Al Qamishli, unmittelbar an der türkischen Grenze. Alis Mutter ist schon länger zu ihrer Tochter nach Izmir geflohen.

"Es gibt drei wichtige religiöse Gruppen in Syrien", erklärt Ali. "Die Sunniten, die Schiiten und die Alawiten, und alle streiten um die Macht." Staatschef Bashar al-Assad gehört der Volksgruppe der Alawiten an, einer kleinen, aber einflussreichen Minderheit. Auch die Schiiten stellen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. "Die sind aber gut bewaffnet und werden aus dem Ausland unterstützt", schildert Ali. Das Nachbarland Iran ist schiitisch. Genauso die Hisbollah im Libanon. Alles Terroristen also? "Ich habe kein Recht, sie so zu nennen", sagt Ali, "aber das sind die, die am radikalsten sind."

Zwischen allen Stühlen

Bleiben noch die Sunniten. Die Aufständischen, die die jahrzehntelange Vorherrschaft der Alawiten abschütteln wol len. Mehr als 70 Prozent der Syrer sind sunnitische Muslime. Die Sympathie des Westens ist ihnen sicher. Wen aber unterstützt Ali? "Ich bin nicht für das Assad-Regime, denn es unterdrückt die Kurden", stellt Ali klar. Genauso we nig könne er die Opposition unterstützen, denn der seien die Rechte der Kurden auch egal.

Deshalb bleiben die Kurden im Konflikt neutral. "Erst am Mittwoch ist mein Bruder von Damaskus nach Al Qamishli ge fahren", er zählt Ali. Zuerst sei der Bus von Assads Truppen an gehalten worden, danach von den Aufständischen. Und jedes Mal kommt die Frage: Sunnit oder Schiit? "Mein Bruder hat gesagt, dass er Kurde ist. Da ha ben sie ihn in Ruhe gelassen." Auf ein mal sind die Kurden "Brüder" - egal ob für Sunniten oder Schiiten. Aber das war nicht immer so.

Denn es gibt - mindestens - noch eine weitere Volksgruppe in Syrien. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind Kurden. Sie leben im Nord-Osten des Landes und sitzen ansonsten zwischen allen Stühlen. Denn Kurden sind zwar überwiegend ebenfalls muslimisch, gehören aber we der der sunnitischen noch der schiitischen Glaubensrichtung an. Außerdem ist die ethnische Minderheit vielen Diskriminierungen ausgesetzt. Das ist der Grund, warum Ban kien Ali überhaupt in Deutschland Dö ner verkauft.

Mit der Mafia nach Europa

"Auf dieser Erde haben wir viele Feinde, aber vier stehen schon fest", sagt Ali und meint damit Irak, Iran, Türkei und Syrien. Überall auf der Welt träumen Kurden von einem eigenen Staat in Vorderasien und erheben Anspruch auf Gebiete eben dieser vier Länder. Aber bisher bleibt Kurdistan ein Traum-Land.

Im Herzen bleibt Ali Kurde, davon zeugt das Tattoo auf sei nem linken Oberarm, das die kurdische Flagge zeigt. Aber weil er die Diskriminierung nicht länger ertragen wollte, ließ er sich nach Eu ropa schleusen. Ein teures Geschäft. Zwischen 4000 und 5000 Euro hat Ali der Schleuser-Mafia damals ge zahlt. "Ich hab' aber gehört, dass der Preis jetzt doppelt so hoch ist." Wegen der Nachfrage.

Über sein Leben in Deutschland sagt Ali: "Ich habe mir vie les anders vor gestellt". Bei diesem Satz lachen seine Augen nicht mehr. Alle zwei Jahre muss er seinen syrischen Pass verlängern lassen, damit die auch die deutschen Behörden seinen Auf enthalt ver längern. Und das, obwohl er seit 2003 in Deutschland lebt, seit 2005 verheiratet ist und mit seiner Frau ein ge meinsames Kind großzieht. Heuer hatte er den Pass wieder einmal nach Berlin geschickt und dann nichts mehr von den Behörden gehört.

Der Anruf

Als er die Berliner Nummer auf seinem Display sah, fing Bankien Ali an zu zittern. Das konnte nur die syrische Botschaft sein. Es war die syrische Botschaft. Ali hat keinen Militärdienst in Syrien geleistet. Das soll er jetzt nachholen. Oder sich für etwa 9000 Euro freikaufen. "Ich weiß ja, was die mit dem Geld machen. Jeden Tag fließen Waffen ins Land", sagt Ali grim mig.

Doch ohne Militärdienst gibt es keinen neuen Pass. Und ohne Pass keinen Aufenthalt. Doch die Ausländerbehörde am Landratsamt Bad Kissingen zeigte sich kulant und stellte Ali jetzt unbefristeten Aufenthalt aus.
Ginge es nach Ali, sollte die Nato in Syrien die Kontrolle übernehmen. "So lange, bis sich alle - Sunniten, Schiiten, Alawiten und Kurden - an einen Tisch setzen und ak zeptieren, dass alle Menschen Rechte haben."