Zuerst war's die Mode, dann die Gesundheit und die Ästhetik. Für Frauen gab es viele Gründe, nicht aufs Fahrrad zu steigen. Sie taten es trotzdem - wie Mütter am Sonntag bei freiem Eintritt im Deutschen Fahrradmuseum erfahren.
Die barbusige Frau, so erzählt Mona Buchmann, die auf dem Prospekt des Deutschen Fahrradmuseums abgebildet ist, habe erst einmal für Protest gesorgt. Der aber hatte es in sich. "Dieser Brief war bitterböse", sagt Buchmann, Mitarbeitende Gesellschafterin des Museums. Die Aufschlagseite ziert eine nur dürftig in ein Tuch gehüllte Blondine, die für ein Herrenrad der Marke Peugeot wirbt. Pikant daran: Das Bild stammt etwa aus der Zeit um 1890 herum - und damals, ja damals hätte dieser Protest sicher Gehör gefunden. Denn lange Zeit hatte eine Frau auf dem Sattel nichts zu suchen.
Hochräder waren tabu Der Vorbehalte gab es viele. "Radfahren gehörte sich einfach nicht für eine Frau", erzählt Buchmann. Die ersten Vorläufer des Fahrrades, so genannte Laufmaschinen, hatten noch Holz-Räder, die mit Eisen beschlagen waren. Schwer waren die und wegen der Stabilität als Herrenräder entworfen - obgleich es in Großbritannien auch Modelle für Frauen gab. Später folgte das Hochrad. Es liegt auf der Hand, dass Frauen mit ihren weiten Röcken sich nicht in die Höhe schwingen durften, auch wenn sich freilich nicht alle dar an hielten.
"Berichtet wird, dass in München Frauen in Knabenkleidung auf dem Hochrad gesehen wurden", ist auf einer der Info-Ta feln zu lesen, die für kurze Zeit die Dauerausstellung im Fahrradmuseum ergänzen. Da der Internationale Museumstag am 12. Mai heuer just auf den Muttertag fällt, beschlossen Buchmann und ihr Team, einige Elemente der neuen Sonder-Ausstellung jetzt schon zu zei gen. "Historische Fahrräder sind nicht nur für technikbegeisterte Männer interessant", ist Buchmann überzeugt. Viele Frauen lobten die detailgenaue Präsentation und die sozialgeschichtliche Einordnung der Themen. Offiziell wird die Aus stellung "Frau und Fahr rad - na und?!" aber erst im Herbst in Burgdorf bei Han nover zu sehen sein.
Für Frauen wurden Dreiräder entwickelt, die weder Mode noch Moral verletzten. "Da ha ben die Männer gesagt: Da dürft ihr drauf sitzen. Das ist schicklich", gibt Buchmann ein Beispiel dafür, dass Frauen von dem neuen Verkehrsmittel nicht gänzlich ausgeschlossen wurden. Das gesellschaftliche Tabu ging aber nicht nur von den Männern aus. "Oft war es so, dass die Frauen ihre Artgenossinnen gewarnt haben: Mach das bloß nicht!", erklärt Buchmann.
Gesundheitliche Risiken In Zeitschriften et wa wurde das gängige Ideal der bodenlangen Kleider bejubelt. Da war es für manche Frau schon zu viel, den Knöchel zu zeigen. Erst die zweiteiligen Beinkleider, die von außen wie ein Rock aussahen aber faktisch eine Hose waren, ermöglichten es den Frauen, selbst aufs Rad zu steigen. Nach der amerikanischen Frauenrechtlerin Amelia Bloomer be nannte "Bloomers" - sehr weit geschnittene und an den Knöcheln zusammengefasste Hosen für Frauen - wurden qua si zum Trainingsanzug der sich abstrampelnden Damen.
Die aber wurden noch immer argwöhnisch beäugt, mitunter sogar belächelt, denn noch hatte sich der gesellschaftliche Kon sens nicht grundlegend ge ändert. Neben Moral und Äs thetik wurde nun auch die Medizin ins Feld geführt. "Es kann für ein Gemeinwesen nicht gleichgültig sein", schreibt beispielsweise der Berliner Arzt Martin Stegfried über das Radfahren, "dass (...) das weibliche Geschlecht durch sei ne Ausübung Erkrankungen ausgesetzt ist, welche die Gesundheit kom mender Generationen zu gefährden im Stande sind."
In seinem Aufsatz, der in dem Band "Der Radfahrsport in Bild und Wort" von Paul Salvisberg im Jahr 1897 erschien, veranschaulicht Stegfried mit Skizzen die schädliche Wirkung des Radfahrens auf das Skelett, berichtet Buchmann. Zudem seien durch die körperliche Ertüchtigung Risiken bei der Geburt oder Schwindsucht zu be fürchten. Dabei sorgte sich Stegfried nicht nur um Frauen. Für Männer sei Radfahren ebenso ein gesundheitliches Risiko. Durch falsches Fahren könne sich der Oberkörper verformen, "ganz abgesehen davon, dass diese Haltung einen unästhetischen und lächerlichen Eindruck macht".
Lange konnten sich diese Argumente zwar nicht halten. Trotzdem zeugt Stegfrieds Auf satz unter dem Titel "Die Hygiene des Radfahrers" davon, dass noch Ende des 19. Jahrhunderts die Vorbehalte gewaltig waren.
Siegeszug des Fahrrades Doch auf lange Sicht ließ sich der ge sellschaftliche Wandel nicht aufhalten. Noch bevor es so weit war, kam die Fahrrad-In dustrie dem Zeitgeist zuvor. Um die Jahrhundert-Wende entdeckten die Unternehmen ei ne neue Zielgruppe - die Frauen - und bau ten fortan Damenräder, die guten Absatz fanden. Und spätestens in den 1920er Jahren setzte sich das Fahrrad als Transportmittel für Männer und Frauen gleichermaßen durch. "Ein einfacher Arbeiter konnte in sieben bis acht Monaten ein Fahrrad in Raten abzahlen", erklärt Buchmann. So wurde das Rad zum Statussymbol - ähnlich wie heute das Auto.
Öffnungszeiten Das Deutsche Fahrradmuseum hat dienstags bis freitags von 9 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr geöffnet. An Feiertagen und am Wochenende ist von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Am Montag ist Ruhetag.
Mehr Informationen über das Deutsche Fahrradmuseum gibt es im Internetoder via Email
museum@deutsches-fahrradmuseum.de oder per Telefon. Tel.: 09741/ 938 255.