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Lothar Möller entkam der Hölle in letzter Minute


Autor: Ulrike Müller

Motten, Samstag, 02. Februar 2013

Am 2. Februar 1943 gaben die deutschen Truppen auf. Der Soldat Lothar Möller war im Kessel gefangen und dem Tode geweiht. Doch das Schicksal wollte es anders.
Lothar Möller hat die Hölle überlebt. Zur Erinnerung an seine Rettung hängt bei ihm im Wohnzimmer die "Madonna von Stalingrad". Fotos: Ulrike Müller


Wäre nicht dieser eine Mann gewesen, Lothar Möller wäre vermutlich längst tot. Zu grunde gegangen im Kessel von Stalingrad wie die 150.000 Soldaten, die im Winter 1942/1943 Kämpfen, Hunger und Kälte zum Opfer fielen. Doch Lothar Möller steht in seinem Haus in Motten und deutet auf die geschnitzte "Madonna von Stalingrad". Das Kunstwerk bedeutet ihm viel. "In so einer Situation braucht man zwei Schutzengel, einen guten Kame raden und selbst noch ein bisschen Glück", sagt der heute 90-Jährige, und beim "guten Kameraden" stockt seine Stim me.

Zeichen standen auf Sieg

Neben der hölzernen Madonna hängt ein Teller, auf dem die Truppenteile der sechsten Ar mee aufgelistet sind. Möller zeigt auf die Nummer 371. "Das war meine Division. Wir lagerten südlich von Stalingrad." Weil er Beschlagsschmied war, wurde Möller in der Betreuung der Pferde eingesetzt. Sein Glück, so musste er nicht in die Stadt, wo die Kämpfe tobten.

Zunächst standen die Zeichen auf Sieg. Deutsche Soldaten er oberten etwa 90 Prozent des Stadtgebietes. Auch Möller hat daran geglaubt. Doch am 19. No vember 1942 starteten die Russen die Operation "Uranus" und schlossen die sechste Armee innerhalb von fünf Tagen ein. Das war der Anfang vom Ende.

Ein Döschen Schweineschmalz

"Als die Essensrationen ge kürzt wurden, war mir klar, dass es ernst ist", sagt Möller. Von da an gab es nur noch die Hälfte für jeden: 300 Gramm Brot pro Tag, später 100 Gramm. Im Januar waren es nur noch 60 Gramm. Als es kaum noch Tiere gab, wurde Möller damit beauftragt, eine Werkstatt in die Schluchten zu graben, in denen seine Kom panie ihre "Wohnbunker" hatte. Dort baute er Schlitten - für den Transport der Toten und Verwundeten.

Um Weihnachten herum war Möllers Kompanie von rund 200 Männern auf etwa 30 bis 40 ge schrumpft. Und dann kam der Tag, an dem er selbst an die Hauptkampflinie berufen wur de. "Gleich beim ersten Instellunggehen hatten wir schon vier Tote", erinnert er sich.

Mitte Januar lag er wieder an der Front im Schnee, 48 Stunden lang. Er erfror sich Füße und Finger, doch der Sanitäter - ein Rhöner aus Hilders - hatte kein Verbandszeug mehr. Da holte Möller das Material, mit dem er seine Tiere verarztete. Auf dem Verbandplatz wurde ihm seine Notration geklaut - ein Döschen Schweineschmalz und ein paar Kekse. Nach sechs Tagen ohne Nahrung trug er es immer noch bei sich. "Ich habe den Hunger noch ausgehalten." Dann schlug er sich durch bis zum letzten Notflugplatz in Gumrak. 13 Verletzte durften in eine Maschine, kein Mann mehr.

Dramatische Rettung

Es war die Nacht vom 21. auf den 22. Januar. Drei Flugzeuge flogen vor Möllers Nase davon. Beim vierten dachte er: "Jetzt klappt's". Doch Möller war Nummer 14. Da kam ein Offizier auf ihn zu: "Kamerad, hast du Papiere?". Die hatte er nicht. Trotzdem stieg der Offizier an Bord und hievte Möller ins Flugzeug. Erst in der Luft, auf 2000 Metern Höhe, wurde ihm klar: "Es geht heimwärts!" We nige Stunden später nahmen die Russen Gum rak ein und kappten die letzte Verbindung in die Heimat.

Einmal kehrte Möller zurück, mit seiner Frau Rosa. Die beiden machten eine Fahrt auf der Wol ga. Wiedererkannt hat er nichts. Kein Wunder. Denn als die letzten Trup penteile der sechsten Armee am 2. Fe bruar 1943 kapitulierten, war nur noch ein Gebäude intakt. In der gan zen Stadt.