Bewahranstalt im Zeitenwandel
Autor: Rolf Pralle
Oberleichtersbach, Donnerstag, 18. Mai 2017
Der Kindergarten St. Peter und Paul, dessen Träger der Johannesverein ist, kann auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken.
"Euer Ehrwürden! Der hiesige Johannis-Zweigverein will im Herbst dieses Jahres eine ambulante Krankenpflege und Handarbeitsschule für schulentlassene Mädchen eröffnen...". Diese Zeilen, die er damalige Pfarrer Glöckner im Januar 1916 an die Generaloberin im Kloster Würzburg-Oberzell schrieb, markieren den Beginn der öffentlichen Kinderbetreuung in der Gemeinde. In dem Brief bittet der Geistliche zunächst nur um die Entsendung von zwei Kranken- und Handarbeitsschwestern für das Dorf. Ein im März 1916 geschlossener Vertrag sieht dann sogar drei Schwestern vor, eine von ihnen speziell zur Leitung einer Kinderschule. Im Februar 1917 erteilt schließlich das königliche Bezirksamt Bad Brückenau die Genehmigung zur Errichtung einer "Kleinkinderbewahranstalt und Handarbeitsschule Oberleichtersbach".
"Seitdem hat sich einiges getan", sagt Claudia Straub, die seit 1987 den Kindergarten leitet. Sie steckt mitten in den Vorbereitungen für das große Jubiläum, das am Sonntag, 21. Mai, mit einem Sommerfest gefeiert wird. Spontan zitiert sie eine Passage aus einer alten Aufzeichnung, die sehr gut die Situation in ferner Vergangenheit veranschaulicht: "Die Kinderbewahranstalt war von April bis Oktober für Kinder ab zwei Jahren geöffnet. In den Wintermonaten wurden schulentlassene Mädchen durch die Ordensschwestern in allen häuslichen Näh- und Flickarbeiten ausgebildet. 1931 besuchten zum Beispiel durchschnittlich 35 Kinder die Anstalt, für eine monatliche Entschädigung von 50 Pfennig pro Kind."
Das Leben im Kindergarten, so hat Claudia Straub während ihrer über 30-jährigen Dienstzeit beobachtet, sei genauso gravierenden Veränderungen unterworfen gewesen wie die Gesellschaft allgemein. Die gesamte Pädagogik habe sich enorm gewandelt: "Die Individualität des einzelnen Kindes wird mehr betont." Hätten früher praktisch alle Mädchen und Jungen im Kindergarten das Gleiche gemacht, gäbe es heute eine Fülle von Angeboten, die die jeweiligen Stärken des Nachwuchses in den Mittelpunkt stellen. Darüber hinaus sei auch die Betreuung wesentlich intensiver geworden. Der Grundstein dafür wurde mit dem Kindergartengesetz aus dem Jahre 1972 gelegt. Seitdem müssen alle Erzieherinnen eine qualifizierte Ausbildung haben. Aber kurz zurück zur Geschichte. Fast 70 Jahre lang betreuten die Ordensschwestern, die in Oberleichtersbach sogar einen eigenen Stützpunkt hatten, die sogenannte Kinderbewahranstalt im Dorf. 1990 wurde die Schwesternstation dann endgültig aufgelöst, nachdem zehn Jahre zuvor bereits die Kinderschwester Juventia Pfister aus Altersgründen ihren Dienst beendet hatte und schließlich auch die Krankenschwester Severine Walter aus Alters- und Krankheitsgründen aufgeben musste. Erste weltliche Erzieherin mit Ausbildung war in Oberleichtersbach übrigens Gertrud Koch, die inzwischen auf 42 Berufsjahre zurückblicken kann.
Veränderungen gab es im Laufe der Zeit auch in der Struktur des St. Johannesverein als Träger des Kindergartens. Waren früher kraft ihres Amtes der jeweilige Pfarrer und Bürgermeister Vorstandsmitglieder, so setzt sich das auf jeweils vier Jahre gewählte, ehrenamtliche Gremium heute hauptsächlich aus Eltern der Kinder zusammen. In dieser Neuausrichtung sieht Leiterin Claudia Straub auch gegenüber den kommunalen Einrichtungen enorme Vorteile: "Der Vorstand kann beispielsweise sehr schnell - ohne Umwege über die übliche Bürokratie - auf die Bedürfnisse der Familien reagieren."
An seinem jetzigen Standort in der Schulstraße wurde der Kindergarten, in dem 92 Mädchen und Jungen von 15 pädagogischen Fachkräften betreut werden, im Jahre 1992 eingeweiht. Eine Erweiterung ist geplant und steht ebenso an wie eine Generalsanierung, die laut Frau Straub "nach 25 Jahren einfach einmal fällig ist".
Zum Jubiläum, dessen Vorbereitungen schon seit Oktober 2016 laufen, erwarten die Verantwortlichen neben ehemaligen Kolleginnen auch etliche ihrer früheren Schützlinge. "Neben dem offiziellen Programm bleibt genug Zeit, persönliche Erinnerungen auszutauschen", kündigt Claudia Straub an. Außerdem wird in einer Ausstellung die hundertjährige Geschichte des Kindergartens dargestellt.
Programm zum Fest
Ablauf 9.30 Uhr Familiengottesdienst in der Pfarrkirche St. Peter und Paul; 11 Uhr Festakt in der Grundschule; ab 11.30 Uhr warmes Mittagessen im Kindergarten; 14 Uhr Vorführung der Kindergartenkinder in der Turnhalle der Grundschule.
Höhepunkte Die Kaffee- und Kuchenbar ist laut Auskunft der Organisatoren durchgehend geöffnet. Außerdem gibt es für die kleinen Gäste ein fortlaufendes Programm aus Spaß und Spiel. Eine Tombola verspricht tolle Preise. bpr