Was einige besorgte Bürger schon länger vermutet haben, ist seit Samstag Realität: Im Bad Brückenauer Rathaus regieren in den nächsten Wochen die Narren.
Während in anderen Ortschaften die Amtssitze der Gemeindeoberhäupter schon seit dem 11. 11. besetzt sind, feilen die Bad Brückenauer Narren noch an einer schlagkräftigen Strategie. Hier startet erst rund eine Woche später die Attacke.
Es ist Samstag, Viertel nach zehn. Nach und nach treffen die Mitglieder der 1. Großen Bad Brückenauer Karnevalsgesellschaft und die Repräsentanten befreundeter Vereine am Alten Rathaus ein. Noch einmal wird die Eroberungstaktik besprochen. Ob der bis ins Detail ausgearbeitete Plan zur Entmachtung von Bürgermeisterin Brigitte Meyerdierks aufgeht, wird sich rund eine Stunde später am Marktplatz zeigen.
Mittlerweile ist auch der letzte Langschläfer wach, als die bunte Narrenschar mit Pauken und Trompeten durch die Ludwigstrasse zum Neuen Rathaus zieht. Die Einheimischen haben reichlich Unterstützung. Zahlreiche Freunde und Gäste sind nicht nur aus Franken, sondern auch aus dem hessischen Nachbarland in die Rhön gekommen. Aktive Karnevalisten aller Altersgruppen aus Bad Neustadt, Hammelburg, Ebenhausen sowie aus Fulda und Hofbieber wollen sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Und zu dem Spektakel spielen unermüdlich die Georgi-Bläser auf.
Regen ist kein Hinderniss
Just als der Bad Brückenauer Sitzungspräsident Frank Vogler auf dem Marktplatz die Würdenträgern und ihr Gefolge vorstellt, öffnet der Himmel immer weiter seine Schleusen. Aus Nieselregen wird ein heftiger Guss. Aber auch diese äußeren widrigen Umstände können die Narren in ihren farbenprächtigen Uniformen nicht stoppen.
Und dann gibt es die erste Überraschung. Anstatt Kamelle fliegen aus den Fenstern des Rathauses unerwartet in Plastik verpackte Regencapes, die die Truppe unten auf dem Marktplatz gegen die durchdringende Nässe von außen schützen sollen. Und auch sonst gibt es fast keine Gegenwehr, der mit Spannung erwartete verbale Schlagabtausch fällt wesentlich kürzer als in den Jahren zuvor aus. An einem silberfarbenen Seil wird die "schwarze Stadtkasse" - natürlich wie immer fast leer - zu den Karnevalisten heruntergelassen. Und plötzlich schreit Bürgermeisterin Meyerdierks lauthals: "Befreit uns!" Mit weinerlicher Stimme beklagt sie, dass sie und ihre Damen von der Verwaltung schon "über eine Woche von Donald Trump eingesperrt" worden seien.
Ohnehin wundert sich die Rathauschefin, warum die Karnevalisten erst jetzt auftauchen: "Wir haben schon ewig gewartet.” Der 11.11. sei doch längst vorbei, erklärte die Bürgermeisterin, mittlerweile würde am Bad Brückenauer Marktplatz schon der Weihnachtsbaum stehen, zwar noch ohne Schmuck, aber dafür weithin sichtbar. Nach solch einer langen Zeit im Kerker werde man sich gar nicht erst groß wehren, sondern sei froh, endlich aus der Gefangenschaft erlöst zu werden, versichert sie den Eroberern.
Für Improvisationstalent bekannt
Solch eine Situation hat die Narrenschar in der langen Tradition des Rathaussturms noch nie erlebt. Sämtliche detailliert ausgeklügelten Pläne sind Knall auf Fall über den Haufen geworfen. Aber die Faschingsfreunde sind für ihr Improvisationstalent bekannt und schreiten umgehend zur Tat.
Da werden viele Meter lange rot-weiße Absperrungen durchschnitten, massive Barrikaden aus stabiler Pappe mit dem geeigneten Werkzeug zerstört, schließlich schiebt die große Ramme - angetrieben von reiner Muskelkraft - die letzten Hindernisse am Eingang zum Amtssitz zur Seite. Die Bürgermeisterin und ihre Verwaltungsmitarbeiterinnen sind froh, dass sie wohlbehalten aus der Geiselhaft befreit sind und demnächst ihre Sträflingskleidung ablegen dürfen. Auch den Stadträten fällt ein Stein vom Herzen. Karnevalisten und Zuschauer freuen sich derweil darüber, endlich ins Trockene zu kommen. In Windeseile füllen sich Rathausfoyer und Bürgerbüro, wo für Aktive und Publikum mit Getränken und Knabbereien gesorgt ist.
Trotz allem wird die obligatorische Schlüsselübergabe von der Bürgermeisterin an Faschingsprinzessin Katharina II. nicht vergessen. Die junge Dame hat es der Rathauschefin ohnehin von der ersten Minute ihrer Regentschaft an angetan. Kein Wunder bei dem selbst gewählten Majestätstitel "Auf die Dauer hilft nur Frauenpower". Unter großem Applaus proklamiert Katharina II. dann noch ihre elf närrischen Gesetze, für deren Realisierung sie jetzt bis Aschermittwoch Zeit hat. Erst dann übernimmt Meyerdierks wieder das Zepter.