Harry Rowohlt: Eine Lesung ist Rock 'n' Roll

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Harry Rowohlt las, rezitierte, sang und erzählte im Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater. Fotos: Ronald Rinklef
Harry Rowohlt las, rezitierte, sang und erzählte im Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater. Fotos: Ronald Rinklef
 
 
 
 
 

Harry Rowohlt fesselte im Bamberger Theater ein großes Publikum. Ohne Alkohol und trotz fortgeschrittenen Alters schaffte er einen mehrstündigen Lese-Marathon. Bei aller Gaudiburschenhaftigkeit darf man nicht vergessen: Der Mann ist ein großer Sprachkünstler.

Abende mit Harry Rowohlt sind so, wie wenn man einen alten Kumpel nach einigen Jahren wieder mal trifft: Wir sind älter geworden, klar, nicht mehr ganz so fit, die Zeit der durchzechten Nächte ist vorbei, aber alles in allem tragen wir das graue Haar doch mit Anstand. Freilich, grundsätzlich geändert haben wir uns nicht, wir wiederholen uns auch und erzählen die Schnurren von einst immer wieder, aber das ist das Recht von uns Alten; vielleicht hat's der Nachwuchs noch nicht gehört?

Im bis auf den letzten Platz ausverkauften Bamberger Theater saß am Sonntagabend jedenfalls recht viel Nachwuchs. Facebook (das Rowohlt unter Garantie hasst), "Lindenstraßen"-Ruhm, elterliche Empfehlung? Man weiß es nicht. Gegluckst bis schallend gelacht haben alle, vom Teenie bis zur Großmama.


Dabei ist der 68-jährige Übersetzer (182 Bücher), Autor, Rezitator, Schauspieler (Penner in der "Lindenstraße") alles andere als ein Gaudibursch, gar ein - der Teufel hole dieses Wort - "Comedian". Er ist ein Humorist, sicher, aber einer, der alle Facetten der komischen Kunst vom Vulgären bis zum Hochhumor souverän schillern lässt. Der Rowohlt-Neuling mag wähnen, einen in Ehren ergrauten Zuspäthippie vor sich zu haben. Gemach: In puncto sprachlicher Akkuratesse, korrekter Aussprache, Übersetzung ist der Mann ein Pedant. Und stockkonservativ!

Springer-Boykott seit 1967
Progressiv konservativ, in dem Sinne, dass er für seine Person am 1967 verkündeten Springer-Boykott festhält und Mitarbeiter eines "modernen Nachrichtenmagazins" als "Focus-Halbaffen" tituliert. Doch, Harry Rowohlt steht links, immer noch und trotz alledem. Naturgemäß nicht verbissen, immer mit einem Hauch Selbstironie. Die lässt er aufblitzen, als er über seinen Auftritt bei einer Kundgebung für Mumia Abu-Jamal berichtet, eine Ikone der radikalen Linken. Doch auch das Bekenntnis zum FC St. Pauli kommt aus tiefstem Herzen.



Klar kennt man nach dem vierten, fünften Mal die Rowohlt-Standards wie die "Anschleimphase" oder die Koketterie mit dem nom de guerre "Paganini der Abschweifung". Was er zweifellos ist. Der Vortrag eines Gedichts von Shel Silverstein oder einer Passage aus dem genialen Kinderbuch "Sie sind ein schlecher Mensch, Mr Gum" von Andy Stanton kann sich viertelstundenlang ziehen, weil Rowohlt Anekdoten aus seinem Dasein als reisender Unterhalter oder Übersetzer einstreut, Witze, biografische Schnipsel, sprachwissenschaftliche Exkurse. Die nicht klugscheißerisch wirken, sondern lustig sind. Warum hatte man einen solchen Lehrer nicht in der Schule?

Klar altert auch Harry Rowohlt. Das "Schausaufen" hat er aufgeben müssen wegen Polyneuropathie, was er entwaffnend offen gleich zu Beginn gesteht. Er wäre nicht der Rowohlt, wenn er das nicht gleich wieder in einen Gag ummünzte. Er extemporiert also nicht mehr über Irish Whiskey, dafür erzählt er viel über seine Heimatstadt Hamburg ("Die Klammern sind in meinen Texten die Schlickschlammschleusen"), inklusive Hamburg-Hymnen nach der Pause. Ebenfalls ein alter Rowohlt-Hut, aber hört man seine Lieblings-Platte nicht immer wieder an? Wenn man auch alle "Pooh's-Corner"-Kolumnen halb auswendig kennt, lacht man doch über den soundsovielten Vortrag, immer wieder.

Nicht nur Bewährtes
Wobei es keineswegs so ist, dass Rowohlt nur Bewährtes aufwärmt. Seinen Literatur-Tipps könnte man ungeprüft folgen - wenn man einen wie Frank Schulz nicht selbst schon seit Jahren schätzte. Der Ire Flann O'Brien ist nur dank Rowohlt in Deutschland so bekannt, und hätte einer die schrägen Kinderbücher Andy Stantons verlegt, wenn nicht fett "Deutsch von Harry Rowohlt" auf dem Cover stünde?

Auch ohne geistige Getränke erzählt und liest der Marathon-Mann unter den Vortragskünstlern fast vier Stunden lang, zum Schluss Jan Neumanns Groteske "Knolls Katzen". Da lief Rowohlt noch einmal zu so großer Form auf, dass man manche Unsicherheit, manchen Versprecher vor der Pause vergaß und verzieh. Wieder ein gelungenes Treffen mit einem alten Kumpel. Bis zum nächsten Mal!