Deutschland droht eine Gasnotlage. Verhindert werden könne diese nur "unter bestimmten Bedingungen", wie es in einem Szenarien-Katalog der Bundesnetzagentur heißt, der am vergangenen Montag, 8. August 2022, veröffentlicht wurde.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, erklärte gegenüber der "Welt am Sonntag", dass aufgrund der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland ein Mangel kaum noch zu verhindern sei. Russland liefert seit Mittwoch, 27. Juli 2022, nur noch 20 Prozent der vereinbarten Menge Gas, teilte der Konzern Gazprom mit.
Gasmangellage kann nur mit "wenig wahrscheinlichen" Szenarien verhindert werden
Umgehen ließe sich eine Gasmangellage nur in zwei "wenig wahrscheinlichen" Szenarien. Das geht aus dem veröffentlichten Szenarien-Katalog der Bundesnetzagentur hervor. "Für diese Szenarien müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher mindestens 20 Prozent Gas einsparen – viel mehr als bislang", erklärte der Chef der Bundesnetzagentur. Andere Szenarien würden ein ähnliches Bild zeichnen. Demnach drohe bereits im Dezember eine Gasmangellage. "Oder wir haben am Ende der kommenden Heizperiode niedrige Speicherfüllstände", so Müller. Eine Heizperiode erstreckt sich von Oktober bis April.
Um eine Mangellage zu verhindern, müsse, unter der Annahme, dass die Ostseepipeline Nord Stream 1 bis Juni 2023 weiterhin dauerhaft nur zu 20 Prozent der Maximalkapazität ausgelastet ist, der Gasverbrauch stark verringert werden. Es sei eine Verbrauchsreduktion um 20 Prozent, sowie eine Reduktion der Durchleitungen an benachbarte Länder um 20 Prozent notwendig. Zudem benötige man laut Müller "zehn bis 15 Gigawattstunden Gas" von anderen Ländern.
Sollen die deutschen Gasspeicher am 1. Februar zu 40 Prozent gefüllt sein und soll die Versorgung auch im nächsten Winter gewährleistet sein, müssten dem Modell zufolge zusätzlich Importkapazitäten für Flüssigerdgas erhöht werden. Erste Flüssigerdgas-Terminals (LNG-Terminals) sollen laut Bundesregierung ab dem kommenden Winter in Betrieb genommen werden.
Die Hitzewelle ist verantwortlich für den geringeren Gasverbrauch, sagt Müller
Bislang ist der Gasverbrauch in Deutschland um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Laut Klaus Müller müsste dieser Wert jedoch kritisch betrachtet werden. "Dieser sehr, sehr warme Sommer hat uns enorm beim Gassparen geholfen." Laut Wissenschaftler*innen handele es sich daher bei den 14 Prozent um "Temperatur-Unbereinigte Daten", erklärte Müller im ZDF-Morgenmagazin vom 9. August 2022. Diese könnten im Herbst und Winter nicht ohne Weiteres fortgeschrieben werden. Aus diesem Grund habe Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits "Maßnahmen auf den Weg gebracht. Da geht es um die Heizungs-Optimierung und die Frage, wie weniger Gas im privaten, und im industriellen Bereich verbraucht werden kann."
Bei einer sogenannten Gasmangellage übersteigt die Nachfrage das Angebot. Nach Ausrufung der höchsten Gefahrenstufe im Notfallplan Gas würde den bestehenden Regeln zufolge die Bundesnetzagentur das dann noch zur Verfügung stehende Erdgas nach Bedürftigkeit zuteilen.
Im Fall einer Gasmangellage seien private Haushalte also nicht vor potenziellen Einschränkungen geschützt. Prinzipiell bestehe die Möglichkeit auf Verordnungen des Bundes, die das Heizen auf die wichtigsten Räume im Haushalt beschränkt. "Ich will über nichts spekulieren, weil wir diese Diskussionen noch führen", erklärte Müller gegenüber der "Welt am Sonntag". Seiner Ansicht nach seien, um Arbeitsplätze zu erhalten, Sparmaßnahmen die private Haushalte betreffen, legitim, "solange sie den geschützten lebensnotwendigen Bereich nicht berühren". Prinzipiell könnte also der Fall eintreten, in dem der Staat Bürger*innen vorschreiben könnte, welche Zimmer der Wohnung oder des Hauses noch beheizt werden dürfen.
Bundesnetzagentur-Chef sieht in Fracking keine Lösung der angespannten Energieversorgungslage
Bundesnetzagentur-Chef Müller sagte: "Wir müssen zwei Winter in den Blick nehmen, in denen wir noch auf russisches Gas angewiesen sind. Mir würden deshalb nur Maßnahmen helfen, die in den nächsten 24 Monaten Gas in die Speicher, in die Industrieanlagen oder in die privaten Heizungen füllen." Damit reagierte der Chef auf den Vorschlag von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sich für Fracking in Deutschland ausgesprochen hatte. Indes schloss Müller längere Laufzeiten der Atomkraftwerke nicht aus.
Deutschland sehe sich Herausforderungen ausgesetzt. Etwa, Kohlekraftwerke mit ausreichend Kohle zu versorgen, und die Situation in Frankreich, die auf deutschen Strom angewiesen seien.
Mit Sorge beobachtet Müller die Beliebtheit von strombetriebenen Heizlüftern, die aktuell vielfach gekauft würden. "Wir bitten wir alle Menschen, genau zu überlegen, ob das wirklich eine kluge Idee ist. Das ist sie nämlich nicht, weil sie sehr, sehr teuer ist. Mit Strom zu heizen ist immer noch wesentlich teurer als Gas, selbst bei den gestiegenen Preisen. Rund 50 Prozent teurer", erklärte Klaus Müller. Sollte es trotz der getroffenen Gegenmaßnahmen zu einer Gasmangellage kommen, "die wir unter allen Umständen vermeiden wollen, dann sind private Haushalte mit ihrem lebenswichtigen Heiz-Bedarf die besonders geschützten Kundengruppen", versicherte Müller. Der effektivste Weg derzeit sei daher nicht etwa eine Elektroheizung, sondern das richtige Einstellen der installierten Heizung. Man solle überlegen, wie warm wirklich geheizt werden müsse.